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Immer eine Reise wert: Der zentrale Tien Shan

kirgistan-tien-shan-packraftingEine für den Herbst 2021 anvisierte weitere pandemiebedingte halbseriöse Unternehmung wie „irgendwas mit dem Fahrrad in Südosteuropa“ ersetzte ich mit einer Reise in den kirgisischen Teil des Tien Shan. Warum? Weil die Einreise relativ unaufwendig möglich war, und ich vor allem mal wieder weiter weg wollte. Zudem war mir diese Weltecke aus drei vorherigen Reisen in guter Erinnerung.

Routine

Landung in Bishkek in den frühen Morgenstunden, Taxi zum Zapadnui Avtovoksal, Marshrutka nach Karakol, in Karakol in der Gagarinstrasse bei „Visit Karakol“ den Propusk für das Grenzgebiet abholen, Gaskartuschen kaufen – und nach einer weiteren Fahrt bis Schachta (Jirgalan) befand ich mich in den Nachmittagsstunden an meinem Startpunkt. So routiniert diese Anreise auch funktioniert, umso erstaunter bin ich nach wie vor, wie mittels moderner Verkehrsmittel innerhalb kurzer Zeit große Distanzen zurückgelegt werden können – soeben noch in Mitteleuropa, jetzt am Fuße des Himmelsgebirges. Zeit hatte ich nunmehr gute zwei Wochen, wie beim letzten Besuch war mein Ziel der Zentraltienshan mit einer langen Anmarschroute ähnlich der von den ersten Entdeckern gewählten, und zusätzlich zur Ausrüstung und  Proviant schleppte ich mein Packraft mit allem was dazu gehört auch noch mit.

Anmarsch

Am Dorfrand von Schachta atmete ich erstmal durch, schnürte die Stiefel, neugierigen Kindern versuchte ich zu erklären, warum ich Paddel mit mir herumtrage, das Gepäck wurde umgepackt und los ging es – immer am Bach entlang, einige Jurten passieren und wenige Stunden später das Nachtlager aufschlagen. Am nächsten Tag endete bald die Piste und wurde zum Pfad, ich querte zwei Pässe, wobei ich beim zweiten aus Versehen nicht nach Osten, sondern nach Norden abbog, was mir dann viel zu spät auffiel. Die Last im Rücken riet mir davon ab, den Pass wieder hinaufzusteigen. So machte ich unfreiwillig einen Schlenker durch unbekannte Täler um am nächsten Tag wieder auf dem richtigen Weg zu sein. Der Blick von einem Pass auf die Marmorflanken des fernen Khan Tengri, den ich beim letzten Mal hatte, blieb aber leider von Wolken versperrt.

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Die Nächte waren schon relativ kalt und ich ärgerte mich, einen etwas zu dünnen Schlafsack mitgenommen zu haben, aber so musste ich mir eben mehr anziehen. Weitere zwei Tage später erreichte ich Etchkili-Tash, wo ich ordnungsgemäß den Propusk zeigte und zur Attraktion des kleinen militärischen Außenpostens wurde. Dann lief ich am Sary-Dzhaz flußaufwärts, immer wieder Hirten auf Pferden begegnend, denen ich mein woher und wohin erklärte.

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Packrafting und Raftpacking

Der Fluss sah nicht unbefahrbar aus, mit mutmaßlich ein paar riskanten Stellen, so dass ich am nächsten Tag mein Glück versuchte. Und es klappte ziemlich gut, das Tempo des Gletscherabflusses war meist mäßig, es gab wenig Hindernisse und die Yaks erschreckten sich am Flussrand. Kurz vor Etchkili-Tash stieg ich allerdings schon wieder aus, weil ich weiter nach Süden wollte und das beginnende Wildwasser eindeutig eine Nummer zu wild war. So folgte ich dem Tjup, überquerte den Tjuz-Pass, wo sich das Panorama auf den Inylchek-Gletscher und die ihn umgebenden Gipfel öffnete. Nach endlos scheinendem Abstieg erreichte ich das Ufer und blieb hier zwei Nächte um mal etwas zu entspannen.

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Nicht wie beim letzten Besuch, als ich dem Inylchek-Gletscher ein paar Kilometer nach Osten folgte, versuchte ich den Inylchek-Fluß zu befahren, was ich aber nach wenigen hundert Metern aufgab: zu schnell, zu verblockt, zu unübersichtlich, zu gefährlich. Also packte ich das Boot wieder ein und zottelte zu Fuß weiter. Bei At-Dshailoo bog ich wiederum gen Süden ab, ging am Pik Alexander von Humboldt vorbei ins letzte Tal meiner Tour um mein Glück auf dem Kaindy zu versuchen. Dies war nun der beste aller drei Flüsse:

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nicht so träge wie der Sary-Dzhaz, sondern sehr dynamisch, nicht so verblockt wie der Inylchek und überschaubarer. Kurzum, es machte unglaublichen Spaß: das Finden der besten Bahn, das meistern von Hindernissen, Blöcken, Kehrwellen, kurze Trage- oder Treidelpassagen. Die Schafe am Ufer ergriffen die Flucht und die Hirten staunten und winkten als ich an Ihnen vorbeischoss. Regelmäßig musste ich kurz halten, da trotz Spritzdecke doch immer wieder etwas zu viel Wasser ins Boot gelangte. Nun, auch dieser Spaß hatte zu bald ein Ende, da leider auch dieses Flüsschen zu gefährlich wurde. Also lief ich wieder und kampierte kurz bevor der Kaindy in den Sary-Dzhaz mündet. Am letzten Tag der Tour hatte ich zwei Ziele: heiße Quellen und bestenfalls in Inylchek einen Transport nach Karakol zu ergattern.

Der Weg zurück

Die heißen Quellen waren eine unglaubliche Wohltat, noch dazu vor einem nicht zu verachtendem Panorama einschließlich dunkler aufziehender Wolken.

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Inylchek ist eine Geisterstadt, ich erreichte die Brücke und hielt nach Verkehr Ausschau. Ich spielte mit dem Gedanken, wie lange ich wohl zu Fuß nach Karakol brauchen würde. Aber dann näherte sich ein roter alter Audi, aber in die falsche Richtung fahrend, hielt an, ich erklärte meine Absicht, wurde mit dem Versprechen, dass sein Sohn heute noch nach Karakol fahren würde eingeladen, erst ins Auto, dann in das Haus des älteren Mannes, erhielt Speis und Trank, und nach einigen Stunden des Wartens ging es los, in einem japanischen Allradfahrzeug. Ich saß vorne links und fuhr nicht, was etwas gewöhnungsbedürftig war, und die Frau mit zwei Kindern saßen hinten. Kurz vor dem Pass passierte es dann, ein Reifen platzte. Ich half beim Reifenwechsel im Nieselregen, der dann bei der Weiterfahrt zu Schnee wurde und erst kurz vor Karakol wieder in Regen überging. Mein Absprung aus dem Gebirge war also ziemlich pünktlich vor dem Wintereinbruch vollzogen.

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Der Fahrer – bei dem es sich um den gleichen wie bei meinem letzten Besuch handelte, wie es mir aber erst bei der Verabschiedung dämmerte – erhielt ein ordentliches Trinkgeld, ich suchte eine Gaststätte auf um mal richtig zu essen, bestellte viel zu viel und schaffte natürlich nicht alles, und begab mich in‘s Quartier wo ich zwei Nächte blieb. Am nächsten Tag gab es Regen und Schnee und ich bummelte durch’s Städtchen. Der darauffolgende Morgen erglänzte in strahlendem Sonnenschein, klarem blauen Himmel und den frisch eingeschneiten Bergen der Umgebung, so dass ich sehr früh zum Fotografieren das Haus verließ, was sich auch gelohnt hat.

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Bishkek

Gegen Mittag nahm ich die Marshrutka nach Bishkek wo ich wiederum auch noch ein paar Tage verbrachte. Es hatte sich verändert, und nicht nur zum Positiven: hässliche Malls und viel zu große neue Moscheen, erbaut mithilfe kräftiger Finanzspritzen von Staaten mit dubiosen politischen und religiösen Interessen. Aber, nichtsdestotrotz bleibt der Eindruck, dass das seit Jahrtausenden prägendste 70 Jahre Sowjetunion waren: Brautpaare Pilgern am Hochzeitstag zum Denkmal für den Großen Vaterländischen Krieg, Statuen werden liebevoll erhalten und auch mal in gold angestrichen, in der Mall werden Hits von Kino (DIE Sowjet-Band der 1980er Jahre) im Remix gespielt und am Frunse-Denkmal wird der fotografierende Tourist gefragt, ob er denn wisse, wen er da fotografiere. Auch das Frunse-Museum besuchte ich und fuhr eine Runde mit dem Riesenrad.  Kurzum, ich genoss die irgendwie vertraut gewordene Fremde.

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Am Morgen des Abflugs fiel dann auch der erste Schnee in Bishkek. Der Rückflug war ereignisarm, unter mir zog die kasachische Steppe dahin und die Reste des Aralsees sah ich auch. Und beim Abflug aus Istanbul erlebte ich das zweite Mal in meinem Leben einen „rejected take-Off“, aber nach weniger als zwei Stunden wurde alles umgeladen und das neue Flugzeug hob ab.

Ein Fazit sei mir erlaubt. Ich hatte gehofft, mehr Zeit auf dem Wasser zu verbringen, wusste allerdings nicht, was mich erwartet, da es stündlich aktualisierte Wasserstandsmeldungen für diese Gegend nicht gibt. So war ich in dieser menschenleeren Gegend sehr vorsichtig. Aufwand und Nutzen des Bootes standen also in keinem proportionalem Verhältnis. Die Tour war trotzdem ganz gut, bloß ist es wie beim Bergsteigen: die Risiken bei einer Solounternehmung müssen anders kalkuliert werden.

 

Shortcuts:

Transport und Land und Leute:

Flüge sind zur Zeit nur über Istanbul möglich. Der Personennah- und Fernverkehr im Land wird lückenlos von Marshrutkas gewährleistet, außer in sehr abgeschiedenen Gebieten, wo sich aber auch immer irgendwas ergibt. Kirgistan erlebte ich immer als sehr freundliches Land mit ebensolchen Bewohnern. Unter den ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken dürfte es das demokratischste sein, nie erlebte ich Bedrohliches oder Beamte, die für was auch immer geschmiert werden wollten, oder für irgendwas „Protokol“ und „Schtraf“ forderten, wie im benachbarten Kasachstan. Zudem ist, zumindest der Norden, von Islamisten und deren Umtrieben verschont geblieben, und selbst die kleinen, neuen Dorfmoscheen die ich sah, sahen nicht nach viel Betrieb aus.

Der Tien Shan hat eine Ausdehnung von 2500 KM und zieht sich weit nach China hinein, wobei sich die höchsten Erhebungen im Grenzgebiet befinden, für welches der erwähnte „Propusk“ benötigt wird.

Karten

Vom DAV gibt es die Karten „Khan Tengri“ und „Inylchek/Tien Shan“ die ganz gut sind.

Ausrüstung

Normale Trekkingausrüstung. Ein Trockenanzug ist wegen der kalten Gletscherabflüsse ratsam.

Philipp

 


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