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„Gorni i Gorod“ – Berge und Stadt

Ueber die Geghama-Kette in Armenien. Foto: PhillippZiel meiner kurzen Reise war die Traversierung der Geghama-Kette in Armenien, dem „Staat des schreienden Gesteins“ (Ossip Mandelstam) mit Zelt, Rucksack und Schneeschuhen. Und selbstverständlich das mondäne Yerevan.

Fünf Minuten? – fragte der Traktorist, nachdem ich ihn und einen Zweiten nach dem Weg zum Azhdahak in der Geghama-Kette fragte, die sich vor mir aufbaute. Eine befriedigende Antwort erhielt ich nicht, allerdings bejahte ich die Frage nach den fünf Minuten.

Und so wurde meine Anwesenheit zum Anlass genommen, eine längere Pause von der Arbeit auf dem steinigen Feld einzulegen, einen Kollegen noch von seinem Traktor zu rufen, und dann ein opulentes Picknick auf der Wiese auszubreiten. Käse, Brot, eingelegtes Gemüse, Eier, Fleisch, und zu den dargebotenen Getränken gehörte auch eine große Flasche Wodka.

Die Sonne schien, die Konversation war wegen mangelhafter Russisch- und gänzlich fehlender Armenischkenntnisse meinerseits begrenzt, aber ein Toast jagte das nächste, und nach ca. einer Stunde des Rastens, Essens und Trinkens, die Wodkaflasche war mittlerweile geleert, verabschiedete ich mich, trotz der Vorschläge, doch mein Zelt gleich neben dem frisch gepflügten Acker aufzuschlagen. Ich ging, gestärkt und leicht beschwipst, meines Weges. Ich beendete diesen Tag mit dem Errichten des Zeltes dort, wo die Schneedecke langsam zu einer geschlossenen wurde.

Das erste Grün

Begonnen hatte ich den Tag in einem Hostel in Yerevan, von wo aus mich einer der Gastgeber mit bis zum Hatis nahm, wo er mit ein paar Freunden dem Gleitschirmfliegen frönen wollte. Ich schaute mir dieses Schauspiel noch an und begab mich dann Richtung Osten zur Geghama-Kette, zuerst an den Hängen des Hatis entlang, und dann durch jenes Tal, wo man mit dem Bestellen der Felder beschäftigt war. Die Sonne schien, umgeben war ich von schneebedeckten Bergen, das erste Grün zeigte sich in den Tälern, und die Einladung zum Mahl kam mir durchaus entgegen.

Über den Grat

Nach der ersten Nacht begann der Tag mit Nieselregen, und ich blieb etwas länger im Zelt. Irgendwann klarte es auf, ich packte und ging bergan, irgendwann zog ich die Schneeschuhe an, langsam öffnete sich der Blick, die Sicht war ausgezeichnet, der Ararat grüsste aus der Ferne und war gut sichtbar. Der Azhdahak, der höchste Berg der Geghama-Kette wurde etwas zu weit rechts von mir sichtbar, und ich ging ihm über den sanft geschwungenen Grat entgegen.

Ich unterschätzte die Distanzen, und ich sah von Westen sehr dunkle Wolken aufziehen, so dass ich mich entschloss, etwas zu früh und ohne den Gipfel zu erklimmen, weiter nach Osten hinter den Grat abzubiegen. Immer noch deutlich auf über 3000m Höhe schlug ich mein Zelt auf einer kleinen schneefreien Fläche auf.

Nachts fiel Schnee, wie viel konnte ich erst ermessen, als ich am Morgen aus dem Zelt schaute. Es waren ungefähr 20 cm Neuschnee gefallen, und immer wieder jagten neue Schneeschauer über den Kamm. So wurde es wieder ein längerer Vormittag im Zelt. Zwei Tage verbrachte ich noch damit, mich entspannt bis zum Ufer des Sevan bei Hayravank zu bewegen.

20 Zentimeter Neuschnee am Morgen und weitere Schneeschauen - ich verbrachte den Vormittag im Zelt. Alle Fotos: Phillipp

20 Zentimeter Neuschnee am Morgen und weitere Schneeschauen – ich verbrachte den Vormittag im Zelt. Alle Fotos: Phillipp

Das Wetter war wechselhaftes Aprilwetter, allerdings mit viel Sonnenschein, und die größte Kapriole war ein mich relativ unvermittelt treffendes Gewitter auf der baumlosen Hochebene, wo ich mich hurtig in die Regenklamotten warf und neben eine der diversen Hügelketten begab, um nicht von den Blitzen als landschaftsuntypische Erhebung identifiziert zu werden.

Sevan und Yerevan

Der Sevan ist ein reizvoller Hochlandsee, der mir mit den Gebirgsketten an seinen Ufern und dem sich permanent ändernden Farb- und Lichtwechseln von einer vormaligen Reise in deutlicher Erinnerung geblieben ist. Und er enttäuschte nicht: am Abend gab es Sturm und Regenschauer, am Morgen lag er glatt und sonnenbeschienen da. Ich saß noch kontemplativ, trotz gepackter Sachen, am Ufer herum, beobachtete Fischer und die zahlreichen Vögel, bevor ich mich trampend auf den Weg zurück nach Yerevan machte.

Im schon bekannten Hostel gab es wieder ein Zimmer mit Blick auf den Ararat, und ich verbrachte die verbleibende Zeit mit ausdauerndem Schlendern durch bekannte und unbekannte Straßen. Den Tränen nahe war ich, als ich die alte Markthalle am Mashtots-Boulevard betrat: dort befindet sich jetzt ein Supermarkt, und darauf hat man eine Mall-mäßige Ladenzeile geknallt.

Wo zuvor die Bauern der Umgebung frisches Obst und Gemüse, Fleisch und Käse und noch einiges Anderes feilboten, machte sich nun Sterilität und ein Warenangebot breit, welches sich nicht sonderliches durch regionale Besonderheiten auszeichnete.  Zudem war es auch gelungen die innere Architektur des Gebäudes, geprägt durch hohe, schmale Fenster, erfolgreich zu zerstören. Es war stickig, da das Einziehen einer Zwischendecke keine Ventilation mehr ermöglichte bzw. den Aufstieg der Hitze nach oben verunmöglichte.

Genozid-Gedenktag

Am Genozid-Gedenktag begab ich mich relativ spontan zum Denkmal über der Stadt am anderen Ufer des Hrazdan, und was ich dort erlebte hatte ich absolut nicht erwartet. Ich dachte, daß dieser Tag schon von einiger Relevanz ist, vielleicht ähnlich des 9. Mai in Weißrussland (wo die Deutschen bekanntlich über ein Drittel der Bevölkerung von 1941-44 töteten).

Aber es war unglaublich: die Straßen Richtung Tsitsernakabert wurden immer voller, hunderte von Blumenverkäufern säumten die Straßen, ein Großaufgebot an Polizei sorgte für Ordnung, und als ich schließlich auf dem Weg zum Denkmal war, dauerte es beinahe zwei Stunden bis ich dort ankam. Meistens ging es gar nicht voran, und wenn, dann nur zentimeterweise.

Diverse Delegationen und Formationen bewaffneter Organe mit Kränzen reihten sich in die Tausenden und Abertausenden von Bürgern aller Altersklassen, Familien, Gruppen von Jugendlichen, Rentnern ein, die mit Sonnenschirmen ausgestattet geduldig warteten.

Das Denkmal, oder vielmehr jener Raum mit ewiger Flamme innerhalb der neun geneigten Granitblöcke, die verlorenen Provinzen Westarmeniens symbolisierend, war meterhoch mit Blumen bedeckt. Und dies war am Vormittag, der Andrang soll sich bis tief in die Nacht und in den nächsten Morgen hinein erstrecken. Schier unglaublich.

Berge und Stadt

Yerevan ist eine unglaublich angenehme und entspannte Stadt, vor allem abends hat man das Gefühl, als ob die ganze Stadt auf den Beinen ist, entweder flanierend oder in den zahlreichen Cafés und Restaurants sitzend, gerade in den Grünanlagen, die sich wie ein Gürtel um das Zentrum legen. Und auch kulinarisch ist mehr möglich, als ausgezeichneter Cognac und Kaffee, ganz zu schweigen von Angebot der Bäckereien und Konditoreien.

Der Taxifahrer, der mich eines frühen Morgens wieder zum Flughafen fuhr, hatte ein paar Jahre seines Lebens mit den Westtruppen der Sowjetarmee in Magdeburg verbracht. Und er fasste meine kurze Reise auch treffend mit ‚gorni i gorod‘ – Berge und Stadt – zusammen.


2 Responses to „Gorni i Gorod“ – Berge und Stadt

  1. Peter Zimmermann says:

    Hallo Philipp

    Danke für den tollen Reisebericht. Ich fahre 2019 mit dem Motorrad nach Armenien. Meine brennende Frage: Welche Gaskartuschen sind dort erhältlich? Stech- oder/und Schraubkartuschen? Ich habe einen Primuskocher für Schraubventilkartuschen.

    Danke im Voraus und beste Grüße
    Peter Zimmermann

    • Dennis Dennis says:

      Hallo Peter,
      auch wir im CAMP4 sind nicht glücklich über die Entscheidung von Edelrid und suchen nach Alternativen.
      Wir haben Kontakt mit der Firma KOVEA aufgenommen und hoffen, alsbald den „P-Adaptor“ bei uns im Programm zu haben.

      Gruß
      C4-Team

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