Die Volksrepublik China ist durch ihre Größe und ihre landschaftliche Vielfalt ein fantastisches Reiseland: Ich bereiste vor Jahren mit einer Freundin vor allem den Süden, Shanghai und Teile Yunnans. Ein weiteres Mal, aus Kirgistan und Kasachstan auf dem Landweg kommend, erkundete ich das Amnye-Machen-Massiv in der Provinz Qinghai.

Während der ersten Reise brauchte ich etwas Zeit, um mich mit den Gepflogenheiten und sehr Anderem und Fremdem anzufreunden bzw. mich darauf einzustellen. Die Aufmerksamkeit, die man als Langnase jenseits von Beijing und Shanghai auf sich zieht, ist äußerst gewöhnungsbedürftig, aber nie aufdringlich. Erstaunlich ist, dass trotz aller Verständigungsprobleme die rudimentäre Kommunikation funktioniert, da das Gegenüber stets bemüht ist, dem Fremden weiterzuhelfen. Das Herumreisen, gerade mit dem Zug, ist großartig, unkompliziert, zuverlässig und schnell, die Züge sind unglaublich sauber und bequem und bringen einen tausende von Kilometern quer durchs Land. Die Bahnhöfe sind so groß wie Flughäfen und es läuft alles sehr geregelt ab, wenn auch hin und wieder ein ziemliches Gewusel entsteht. In keinem anderen Land musste ich bis jetzt so fundamental Vorstellungen und Vorurteile korrigieren und erkennen, dass das hier gezeichnete Bild von China nicht einmal annähernd der komplexen Realität vor Ort gerecht wird und oft auch einfach falsch ist. Wenn man dies erkannt und sich einmal auf dieses Land eingestellt hat, wird es unglaublich faszinierend.

Xianre Ri im Hintergrund

Der Plan

Dieses Mal sollte es einzig in die Provinz Sichuan gehen, in die Gebirgszüge östlich der Provinz Xizang/Tibet. Tibet geht geographisch wie kulturell weit über die Grenzen der Provinz hinaus. Nur wenigen dürften Gipfel namens Xianre Ri, Minya Konka oder Kawarori etwas sagen, dabei gibt es in China, auch jenseits der kompliziert zu bereisenden Provinz Xizang, unglaublich viele Gebirge in kaum touristisch oder anderweitig erschlossenen Gebieten mit 5000m bis 7000m hohen Gipfeln, die zudem oft auch noch einer Erstbesteigung harren. Dank der Go-West-Politik und der mit ihr einhergehenden Verbesserung der Infrastruktur werden auch die bis dahin nur schwer zu erreichenden Gebiete leichter zugänglich. Ich hatte keine Besteigungen vor bzw. hielt ich mir diese Option offen. Aber die Gelegenheit bot sich nicht, mein Zeitrahmen war begrenzt und das Wetter oft ungünstig, von den notwendigen Genehmigungen einmal abgesehen, sodass ich mir vier Gebiete in 3-6-tägigen Höhenspaziergängen nur mal anschaute.

 

Ins Kawarori-Massiv, 5928/5992 müM (Gongkala Shan-Kette)

Ich landete Ende Oktober in Chengdu, einer mittleren Großstadt mit 12 Millionen Einwohnern. Der erste Schreck kam gleich nach der Landung: Die Fluggesellschaft setzte mich per SMS darüber in Kenntnis, dass mein Gepäck den Flug verpasst hatte. Ich sah mich schon tagelang, zum Nichtstun verdammt, in Chengdu festhängen, aber es purzelte kurz darauf vom Gepäckband. Ich besorgte Kartuschen für den Kocher und ein Busticket für den nächsten Morgen nach Ganzi und ging ins Bett. 14 Stunden Busfahrt nach Nordwesten am nächsten Tag überstand ich, fertig vom Flug am Vortag, noch etwas betäubt, halbbewusst und immer wieder einnickend. Es ging, nach der fruchtbaren Ebene, viele Serpentinen hinauf und hinab, über Hochebenen, Pässe und an Flüssen entlang. Nachts kam ich an. Ganzi wählte ich als Startort meiner ersten Tour zum Akklimatisieren, weil es nur auf 3500 Metern Höhe liegt. Ich überlegte noch einen halben Tag, welches der zwei möglichen nahen Gebiete ich erkunde, und entschied mich für das Kawarori-Massiv.

Kawarori-Massiv

Ich nahm ein Taxi zum 20 Kilometer entfernten Trailhead und lief los. Die Sonne schien, die Schotterpiste wurde zum Trampelpfad und schon bald baute ich mein Zelt auf 4000 Metern Höhe an einem Bach auf. Die Nacht wurde kalt und es schneite etwas, doch der nächste Morgen war wieder klar. Ich ging nördlich am imposanten Kawarori-Massiv vorbei über einen Pass von 5000 Metern, wobei mir die dünne Luft beim Aufstieg zu schaffen machte. Doch irgendwann ging es wieder bergab und ich nächtigte auf ähnlicher Höhe wie zuvor und wieder gab es Schnee. Am nächsten Tag folgte ich einem Flusslauf und war am Abend wieder im verregneten Ganzi. Die erste kleine Testtour, mein einer Fuß war nicht in astreinem Zustand, hatte ich absolviert.

Yangmolong-Massiv, 6060 müM (Shaluli-Shan-Kette)

Jetzt sollte es über Litang, südlich von Ganzi, nach Batang gehen, bzw. bis kurz davor, um mir das Yangmolong-Massiv aus der Nähe anzusehen. Vom Sammeltaxi ließ ich mich fast an der richtigen Stelle rauswerfen und lief los, immer bergauf. Erst in der Dunkelheit baute ich mein Zelt auf. Auch der folgende Tag wurde sehr lang, erst kämpfte ich mich durch Unterholz, folgte zerfasernden Pfaden und einem Wasserlauf bergan, stieg weiter über schneebedeckte Geröll- und Blockfelder, irgendwann mit Stirnlampe, bis ich endlich eine flache Stelle an einem See auf gut 5000 Metern Höhe zum Schlafen fand. Am nächsten Morgen stellte ich allerdings fest, dass ich etwas zu weit nördlich gelandet war und der avisierte Yamou-See (4800m) ungefähr 3 Kilometer weit entfernt war. Um zu ihm zu gelangen, kreuzte ich über hässlich rutschende Geröllhänge. Es war stürmisch, hin und wieder zeigte sich die Sonne, die höheren Gipfel blieben allerdings in Wolken verhüllt. Trotzdem, malerisch spiegelte der Yamou-See die angrenzenden Höhenzüge. Am nächsten Tag stieg ich langsam ab, verschneite Geröllfelder wurden irgendwann von Wald und Sommerweiden abgelöst, und ich gelangte auf eine Schotterpiste, die weiter dem Bachlauf ins Tal folgte. Ich campierte bald, um am nächsten Tag wieder auf die Straße Batang-Litang zu gelangen.

Lager auf 5000m. Yangmolong-Massiv

Ungemütlich nasskalt war das Wetter am nächsten Morgen. Ich erreichte eine Straßenbau-Baustelle, von wo ich von einem Pick-Up-Truck freundlicherweise mitgenommen wurde. Doch damit fing die Freundlichkeit erst an. Ich wurde zum Tee am Straßenende in eine kleine aus 4-5 Containern bestehende Siedlung eingeladen. Die Kommunikation lief nun nicht mehr mit Händen und Füßen, sondern mit Smartphone und Translator und dementsprechend flüssiger. Ich war in einer Straßenbaubrigade der Volksbefreiungsarmee gelandet, nach und nach gesellten sich neugierig immer mehr junge Leute dazu, dann wurde ich zum einfachen, aber sehr leckeren Essen eingeladen. Aufmerksam wurde, noch bevor ich anfing mit Stäbchen zu essen, ein Löffel zur Verfügung gestellt, derweil es draußen in Strömen goss. Eigentlich wollte ich ja weitertrampen, aber angesichts des Wetters nahm ich die Einladung an, zu sich in der Nähe befindenden heißen Quellen zu fahren. Sie lagen auch auf meinem Weg. Der Regen wurde zu Schnee, was mich aber im warmen Wasserbecken nicht tangierte. Nur schwer konnte ich vermitteln, das Angebot, doch über Nacht zu bleiben, auszuschlagen und mich stattdessen weiter auf den Weg nach Litang zu machen. Man hielt mir ein Auto an und ich verabschiedete mich von diesen sehr offenen, neugierigen und freundlichen Menschen.

Yading (Shaluli-Shan, Gongga-Yueshan)

im Yading-NP

Von Litang aus begab ich mich gen Süden, in den Yading-Nationalpark. Im Vergleich zu den Gebieten davor war dieser auf den ersten Blick sehr erschlossen: Eintrittsgeld, Shuttlebusse und eine Infrastruktur, die auf Massentourismus ausgelegt war. Relativ spät am Tag ankommend wurde mir von Uniformierten allerdings der Eintritt verweigert. Als ich aber vermitteln konnte, dass ich vorhatte nicht nur ein paar Meter auf den ausgebauten Wegen zu gehen, sondern alle 3 Gipfel zu umrunden, ließ man mich glücklicherweise passieren. Ich stieg noch ein paar Meter hinauf und campierte vor malerischer Kulisse. Am nächsten Tag folgten zwei Pässe, das Wetter war ausgezeichnet, ich passierte den Xarue Do Je (5958 müM) und bewegte mich auf den Yangmaiyong (5958 müM) zu. Irgendwann dämmerte es, ich war im Wald ohne Aussicht auf eine mögliche Stelle zum Zelten, es donnerte um mich herum und ich redete mir ein, dass das nahende Gewitter bestimmt an mir vorbeiziehen würde, als die ersten Hagelkörner herabprasselten. Kurz davor, meine Wettersachen anzuziehen, öffnete sich der Wald zu einer Wiese an einem Bachlauf und ich sputete mich das Zelt zu errichten. Eine Punktlandung, weil ich das folgende Unwetter mit Schnee und Sturmböen ungern im Freien erlebt hätte.

Yading-Nationalpark

Am nächsten Morgen gab es ungetrübten Sonnenschein und die Ostwand des Yangmaiyong erstrahlte. Zwei Tage ging ich weiter Richtung Süden, über Wiesen, durch Wälder und über verschneite Pässe, und nur einmal begegnete mir eine Gruppe mit Guides. Ich überwand die verschneiten und schwierigen Flanken der südlichen Ausläufer des Yangmaiyong bis ich irgendwann einen Pass erreichte und der Pfad gen Westen bzw. Norden abbog. Es wurde wieder spät und kurz vor Mitternacht, nach einem steilen weglosen Abstieg über verschneites Geröll, erreichte ich final einen See mit der Möglichkeit zu campieren. Am nächsten Tag stieß ich dann auf den relativ oft besuchten und gut erkennbaren Weg, der nur um den Xianre Ri (6032 müM) führt, die Sicht war mäßig und das Wetter bescheiden wie oft; ich kam gut voran, überquerte den letzten Pass, stieß bald auf die paar Kilometer, die für den Massentourismus ausgebaut sind, stieg in den Shuttlebus und dann in ein Sammeltaxi und war in Daocheng. Dort blieb ich 2 Nächte, schrieb Postkarten, wusch Wäsche und spazierte durch das modernisierte Örtchen.

Minya Konka, 7556 müM (Daxue-Shan-Kette)

Unweit des Minya Konka

Für die letzte Tour musste ich noch einmal länger nach Nordosten Bus fahren, nämlich 10 Stunden nach Kangding. Ich nahm dann ein Taxi zu meinem Startpunkt nordwestlich der Minya-Konka-Kette und lief los. Da es bereits dämmerte, baute ich mein Zelt an einem Platz auf, wo bereits eine geführte Gruppe campierte, das einzige Mal während der ganzen Reise, wo ich meinen Zeltplatz nicht für mich allein hatte. Am sonnigen nächsten Tag kam ich gut voran, bis in die Nähe des zu überquerenden Passes. Der Schnee wurde knietief, war aber teilweise gespurt von einer japanischen Gruppe, die mir entgegenkam. Zudem zogen Wolken auf und nicht weit hinter dem Pass setzte Schneefall ein, white-out, und ich errichtete mein Lager. Am nächsten sonnigen Tag ging es nur bergab, vorbei an majestätischen Gipfeln. Doch erst am folgenden Tag sah ich den Minya Konka, ein Berg, der lange als der höchste der Welt galt. Im dann kommenden Ort mit einer Handvoll Gehöften musste ich feststellen, dass mir eine Exit-Strategie fehlte: nach Osten führte eine Schotterpiste, wobei ich nicht wusste, ob sie bald enden würde oder erst nach ca. 25 km erst wieder beginnen sollte, nach Westen ebenfalls eine Schotterpiste, die sich in endlosen Serpentinen zu einem Pass hinaufschraubte. Ich entschied mich für Zweites.

Pass,nahe Minya Konka

Stundenlang ging ich, mir entgegen kamen 2 Autos, in meine Richtung – nichts. Aber irgendwann nahm ich Motorengeräusche war, es näherten sich zwei Mopeds. Ich versuchte mein Glück und hielt den Daumen in den Wind und sie hielten an. Ich konnte vermitteln, dass ich nach irgendwo-hinter-dem-Pass wollen würde, und die beiden jungen Männer mir, dass dies 200 Yuan, ca. 25 Euro, kosten würde. Ich befand mich nicht in der günstigsten Verhandlungsposition und willigte ein. Ich fuhr bei dem Einen und mein Rucksack bei dem Anderen mit. Das Klügste war das nicht, da die Berichte, gerade auch aus dieser Gegend und aus erster Hand, über Raub und Diebstahl an Touristen mir bewusst wurden. Zu dieser Angst, dass Moped 2 mit meinem Gepäck verschwinden würde, gesellte sich dann nach dem Pass die Angst, vom Moped zu fallen. Das Tempo war schwindelerregend bzw. der Piste mit vielen Schlaglöchern und engen Kurven nebst Gegenverkehr nicht angemessen. Aber, ich und Rucksack wurden wohlbehalten im nächsten Dorf abgeladen, ich atmete auf, zahlte und gab noch eine Runde Zigaretten aus. Trampend erreichte ich am Abend Kangding und am nächsten Tag fuhr ich Bus zurück nach Chengdu, wo ich noch 2 Tage Urbanität genoss.

 

Ich danke Ed Hannam für Inspiration, Tipps, und das Buch „East of the Himalaya“ von Tamotsu Nakamura.