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Von Nomaden, Wölfen, Seen und unglaublicher Gastfreundschaft

Toktogul See. Alle Bilder: privatWer hätte das gedacht: Kirgistan ist ein Traum für Radfahrer und führte mich durch großartige Landschaften von der Hauptstadt Bishkek über mehrere Pässe ins Gebirge und über die wunderschöne Suusamir-Hochebene bis zu den Nomaden. Das ist mein Bericht über eine mehrmonatige Radtour durch Zentralasien immer gen Westen.

Was mache ich hier überhaupt?
Die Frage stellte ich mir mehrfach innerhalb der ersten Stunden meiner Ankunft. Das Stück vom Flughafen in Bishkek in die Stadt hinein ist zwar nicht lang (knappe 30km), fühlte sich aber bei über 30°C an wie ein Marathon. Zumal ich zum ersten Mal mit meinem vollbeladenen Rad „Emily“ unterwegs war, die sich in etwa so spritzig fahren ließ wie ein Panzer.

Am Horizont türmten sich derweil die schneebedeckten Gipfel des Ala-Too Gebirge in den Himmel. Unglaubliche Hitze und diese respekteinflößenden Berge – worauf hatte ich mich hier eingelassen? Was würde mich hier erwarten? Was ich von den Kirgisen zu erwarten hatte, fand ich innerhalb der ersten Stunde im Land bereits heraus:

Ich hielt am Straßenrand, um im Schatten eines Baumes etwas zu trinken. Innerhalb kürzester Zeit sprachen mich ein kleiner Junge und sein Großvater an –  und prompt fand ich mich in einem Wohnzimmer mit einer Tasse süßen Tee in der Hand wieder. Aus der Einladung zum Tee wurde eine zum Mittagessen, dann eine zum Abendessen und schließlich wurde ich eingeladen, über Nacht zu bleiben. Für die verschiedenen Mahlzeiten wurde ich von einer Familie zur nächsten weitergereicht. Alle freuten sich, dass sich ein Ausländer die Zeit nimmt, ihr Land langsam mit dem Rad zu erkunden. Kein schlechter Start!

Die grüne Hauptstadt: Bishkek
Am nächsten Tag radelte ich ausgeschlafen und wohlgenährt in die grüne Hauptstadt Bishkek weiter. Berlin mag im Vergleich zu anderen Hauptstädten entspannt wirken – Bishkek dagegen ist tiefenentspannt. So muss man in Bishkek nicht lange suchen, um neben den geschäftigen Hauptstraßen kleine Gassen zu finden, die sich so auch in einem anheimelnden Dorf befinden könnten.

Gleichzeitig erinnert durchaus sehenswerte alte Sowjet-Architektur an die Geschichte des Landes. Auch wenn Reiseführer den Osh-Basar empfehlen: viel mehr Lokalkolorit hat der Alamedin-Basar, wo es zwar keine Souvenirs geben mag, dafür aber Hallen mit unglaublich leckeren Backwaren, ansprechend aufgetürmtem Obst und einer riesigen Auswahl an Nüssen und Trockenfrüchten.

Ab in die Berge – aber wo sind die?
Pünktlich zu meiner Abreise aus Bishkek änderte sich das Wetter: Statt sommerlicher Hitze begleitete mich ein ausdauernder Regen an dem Tag, an dem ich Bishkek Richtung Berge verließ. Außer, dass ich die Stadt einfach nicht verließ. Auch wenn die Gegend zunehmend ländlicher wurde, blieb die Straße flach und gesäumt von Häusern. Der Verkehr auf diesem ersten Stück war zumal recht dicht. Die Frage, was ich hier eigentlich wollte, drängte sich erneut in meine Gedanken.

Nass und schlammversprizt gelangte ich schließlich am Abend nach Kara Balta. Meine Unterkunft in der lokalen Gastinitsa (Hotel) war ein Ausflug in alte Sowjet-Zeiten, seit denen wohl auch an dem Gebäude oder seinen Räumen nichts mehr geschehen ist, mit anderen Worten: eine reine Bruchbude. Die netten Damen vom Empfang halfen mir jedoch über die Enttäuschung hinweg – und die Banya im Gebäude nebenan erlaubte mir immerhin eine heiße Dusche.

Heulen in der Ferne
Der nächste Tag brachte dagegen die ersten Pferde-Herden, die in aller Ruhe die Straße überquerten – im sicheren Wissen, dass sie hier Vorrang haben. Ich verließ nun die dicht besiedelte Gegend und näherte mich zunehmend den Hügeln am Horizont. Sosnovska am Rande der Berge bot eine letzte Gelegenheit, in einem größeren Laden Lebensmittel einzukaufen.

Und dann war ich drin, in den Bergen, die ich gesucht hatte. Die erste Lektion lernte ich jedoch schon in dieser Nacht: Kirgistan ist ein wildes Land, ein Land der Pferdeherden, aber ebenso ein Land der Wölfe. Sie besuchten mein Zelt in dieser Nacht noch nicht, aber ihr Heulen in der Ferne ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.

Nach einer unruhigen Nacht brachte der neue Tag wundervolle Berglandschaften in einem sich verjüngenden Tal, das zunehmend zu einer Schlucht wurde, stets bergan führend. Zurück war die sommerliche Hitze, die einem berg-ungeübten Radfahrer wie mir den Schweiß in die Stirn trieb. Als die Sonne schließlich abnahm, merkte ich, dass ich ein Problem hatte: Knapp 1000 Höhenmeter hatte ich zurückgelegt, aber es fehlten noch etliche bis zum anstehenden Töö Ashu Pass (3586 m).

Gleichzeitig war in dem steinschlaggefährdeten Gebiet, in dem ich mich befand, ebenso wenig ein Zeltplatz auszumachen wie in den kommenden Serpentinen. Kurzentschlossen hielt ich an und streckte meinen Daumen heraus. Innerhalb weniger Minuten hielt tatsächlich ein LKW-Fahrer, der mein Rad auf seinen Laster und mich in die Fahrerkabine bugsierte.

Angesichts des Schnees auf dem Pass (Anfang September!) und des Tunnels auf seiner Spitze sicherlich keine schlechte Idee. Fast ein wenig enttäuscht war mein Helfer, dass ich nach dem Pass wieder aussteigen wollte. Er würde mich auch noch weiter mitnehmen! Ich war ihm sehr dankbar – aber schließlich war ich hier, um Kirgistan mit dem Rad zu erkunden, nicht um schnell ein Ziel zu erreichen.

Kurz nach dem Pass fand ich eine Jurte, typisch und leicht zu erkennen mit ihrer geduckten, runden Form und der weißen Farbe. Der alte Mann, der dort lebte, wollte mich einladen, in seiner Jurte zu schlafen, aber ich zog mein Zelt vor, das ich in sicherer Nachbarschaft zu ihm und seinem Hund aufbaute. Um beides war ich nachts dankbar, in denen ich wieder Wölfe hörte – diesmal sehr viel näher an meinem Zelt, wie das sich überschlagende Bellen des Hundes bestätigte.

Die endlose Weite der Suusamir-Hochebene und der Ala Bel Pass
Am Morgen lag die Suusamir-Hochebene in seiner epischen Schönheit vor mir –im Sommer von Nomaden und ihren Herden besiedelt und von einer kargen Unberührtheit, die mir nahe ging. Bäume sind ein seltenes Bild, dafür schmückt ein Fluss die Hochebene.

Trotz der weiten Natur ringsherum fühlte ich mich nie alleine; immer war ein Hirte oder eine Jurte irgendwo in der Landschaft auszumachen. Entlang der Straße befanden sich immer wieder kleine Stände der Nomaden, die hier zwei Spezialitäten an Vorbeireisende verkaufen: fermentierte Pferdemilch (kymys) und kleine Bällchen aus getrocknetem Joghurt (kurut).

Beiden gemeinsam ist ein intensiv-säuerlicher Geschmack, der nicht jedem mundet, was Kirgisen rein gar nicht nachvollziehen können. Eine weitere Nacht in direkter Nachbarschaft zu Nomaden folgte, diesmal in einem Bauwagen, in dem mir die Familie ein Nachtlager herrichtete.

Trotz der Tageshitze waren die Nächte in den kirgisischen Bergen schon zunehmend frisch mit Temperaturen um den Gefrierpunkt. Als ich tags drauf das Tal Richtung Ala Bel Pass verließ, war ich zwar gespannt auf die nächsten Abschnitte der Tour, wusste aber schon, dass dies sicher zwei meiner liebsten Radeltage in Kirgistan gewesen waren!

Nette und weniger nette Kirgisen
Der Ala Bel Pass stellte sich trotz seiner Höhe (3184m) als einer der angenehmsten Pässe meiner ganzen Reise durch Zentralasien heraus. Die Straße steigt stetig, aber nie allzu steil auf gutem Asphalt an – und wenn man sich plötzlich in absurd schöner Mondlandschaft befindet und ohnehin anhalten möchte für ein Foto, ist man auch schon oben.

Wider Erwarten hielt in dem Augenblick neben mir ein Polizeiwagen an und ein kirgisischer Polizist wollte von mir wissen, was ich denn in seinem schönen Land mache. Ich stand Rede und Antwort, erst etwas nervös, dann zunehmend entspannter. Auch seine Inspektion meiner Lenkertasche schien eher von seiner eigenen Neugierde getrieben zu sein, denn von seiner beruflichen Aufgabe. Obwohl das Gespräch nett verlief, war ich doch recht erleichtert, als ich weiterradeln durfte.

Und was für ein Weiterradeln das war! Die Landschaft erinnerte mich zunehmend an das karge Hochland von Tibet, insbesondere im goldenen Abendlicht. So ganz konnte ich die Landschaft aber nicht genießen, denn Abendlicht hieß auch, dass ich einen neuen Zeltplatz brauchte. Dazu war aber das Land um mich herum zu steil.

Im letzten Licht des Tages fuhr ich hinab gen Chychkan-Canyon und entdeckte schließlich ein wunderschönes, flaches Stückchen Land neben dem Fluss. Auch ein paar Jurten waren zu erkennen – sicher ein guter Ort für die Nacht. Dass mir nur ein junger Mann Ende 20 entgegenkam und niemand sonst, beachtete ich nicht weiter. Bislang hatte ich schließlich nur gute Erfahrungen gemacht.

Wir verhandelten etwas über den Preis für ein Abendessen und die Erlaubnis, mein Zelt aufschlagen zu dürfen. Dabei wurde schon etwas klarer, dass der Herr auch an mir interessiert war. Ich entschied mich daher spontan, eine der leeren Jurten zu mieten, die für Touristen ohne Zelt gedacht waren. Sicher besser, nachts eine Türe abschließen zu können… Um diese Entscheidung war ich später sehr froh.

Ich war dem jungen Kirgisen dankbar für die Übernachtungsmöglichkeit und dafür, dass er mir später am Abend zeigte, wie man Pferde melkt, um das Lieblingsgetränk der Kirgisen zu gewinnen: besagte fermentierte Pferdemilch. Frisch ist sie durchaus lecker und einen Versuch wert. Allerdings rückte mir mein Gastgeber immer mehr auf die Pelle und sagte irgendwann sehr eindeutig, dass die Nächte hier kalt seien und er gerne Gesellschaft hätte heute Nacht.

Meinen (extra für ihn erfundenen) Ehemann sollte ich doch für heute mal vergessen. Entschieden lehnte ich ab und verbarrikadierte mich in meiner Jurte. Die Nacht fühlte sich ähnlich unruhig an wie jene, in denen die Wölfe vor meinem Zelt geheult hatten. Nichtsdestotrotz akzeptierte der einsame Kirgise wohl meine Worte.

Bis zum Morgen hatte er sich mit meiner Ablehnung wohl abgefunden. Mich erwartete jedenfalls ein Frühstück mit leckerem selbstgemachten Rahm von seinen Ziegen sowie Marmelade aus selbst gepflückten Beeren. Dennoch war ich nicht unfroh darum, mich auf mein Rad schwingen zu können und dem berühmten Toktogul-See entgegen zu radeln, gespannt auf die weiteren Abenteuer, die mich erwarten würden.

In den Chychkan Canyon
Neugierig beäugt von den Ziegen des Hauses belud ich am nächsten Morgen meine Emily. Als sie jedoch anfingen, Emily liebevoll zu beknabbern, wurde es mir zu bunt und ich verjagte sie. Vor mir stand eine lange Talabfahrt; da sind durchgeknabberte Bremszüge nicht zu gebrauchen.

Nach der Weite der Suusamir-Hochebene fühlte sich das Hineinradeln in den Chychkan-Canyon schon fast einengend an. Immer dem abwärts verlaufenden Fluss folgend, konnte ich jedoch langsam die schönen, roten Sandsteinformationen bewundern, die das Wasser in die Schlucht gegraben hatte.

Nun befanden sich auch zunehmend kleine Restaurants und Teehäuser am Straßenrand, die mit den typischen „Tee-Betten“´unter Bäumen einladend wirkten. Tee-Betten sind eine in Kirgistan typische Kontruktion, die man sich wie ein sehr großes Bettgestell vorstellen kann, das mit Teppichen und Kissen bedeckt Platz für eine kleine Gruppe von Menschen bietet, die hier ihren Tee trinken oder eine Kleinigkeit essen – natürlich, nachdem man seine Schuhe ausgezogen hat.

Auf meine Frage, ob ich auch einfach eine Flasche Wasser kaufen könne, antwortet mir eine kirgisische Großmutter überrascht: Natürlich würden sie mir Wasser verkaufen, aber ich könne doch einfach Wasser an einem der Rohre abfüllen, die hier aus den Bergen kommen – das sei Quellwasser und ohnehin viel besser! Ein schöner Gedanke. Ich traute meinem Magen das Experiment jedoch vorerst noch nicht zu und blieb fürs erste doch bei abgefülltem Wasser.

Der Toktogul-See und Hügel, endlose Hügel
Zu den Restaurants gesellten sich langsam mehr Häuser, schließlich ganze Dörfer, das Tal weitete sich und dann lag er vor mir: der Toktogul-See. Zumindest theoretisch. Von der Ferne hatte ich ihn gesehen, aber je mehr ich mich ihm näherte, desto mehr verschwand er hinter den Hügeln.

Die Gegend um den Toktogul-See hat viele kleine Erhebungen. Wüstenartig trocken, fast ohne Vegetation, zeigen sich die Hügel in einer Bandbreite von Braun- und Ockertönen, die unendlich scheint. Unendlich erschien mir auch ihre reine Anzahl. Ein Pass ist ein Pass ist ein Pass. Man fängt an, die Straße steigt an und irgendwann ist man oben. Die Vielzahl der Hügel um Karakol jedoch war ermüdend: die gewonnenen Höhenmeter waren innerhalb der nächsten halben Stunde ohnehin wieder verloren und das Spiel begann von neuem.

Als ich ein flacheres Stück erreicht hatte, sogar fast am See gelegen, radelte ich hinüber zu einem Dorf, um zu fragen, ob ich in der Nähe zelten dürfe. Ein gemütlicher Kirgise mit kugelrundem Bauch nickte auf meine Frage nachdenklich, sprach etwas von „doma“ (Haus) und brachte mich zu seinem Zuhause. Die drei Töchter waren begeistert von dem unerwarteten Besuch und fast etwas enttäuscht, dass ich wirklich nur im Garten mein Zelt aufschlagen würde.

Das sollte sich ändern. Der nächste Morgen weckte mich gegen 7 Uhr mit Nieselregen. Schimpfend packte ich mein Zelt zusammen – gerade noch rechtzeitig, bevor ein Landregen losbrach. Meine Gastfamilie bat mich ins Haus, zumindest für das Frühstück. Draußen prasselte der Regen und tiefhängende Wolken machten die Sicht fast unmöglich, während ich Tasse um Tasse heißen Tees trank.

Schließlich fragte ich einfach, ob ich bleiben dürfe, bis der Regen nachgelassen hätte. Ich durfte, obwohl der Regen anderthalb Tage andauern würde. In der Zeit jedoch machte ich mit den Mädchen Englisch-Hausaufgaben, unterhielt mich mit der pensionierten Deutsch-Lehrerin, die vorbeischaute, radebrechte in Russisch mit dem Bruder meines Gastgebers – und aß Unmengen an Essen.

Das kirgisische Essen besticht weniger durch seine Vielfalt (viel Fleisch und Milchprodukte, Kartoffeln, Brot), ist aber sehr energiereich – ideal für einen hungrigen Radfahrer! Im Sommer kommen dann noch unglaublich leckere Melonen hinzu, die der Bruder mir zu Ehren auch mitbrachte.

Frohgemut stürzte ich mich nach anderthalb Tagen Gastfreundschaft wieder in die Hügel mit meinem Rad, nun bei strahlendem Sonnenschein. Auf der Südseite des Sees wird das Auf und Ab der Hügel dann auch endlich belohnt von wunderbaren Blicken auf den spektakulär schönen See, umrandet von karger, sonnenverdorrter Landschaft.

Um mein Glück vollkommen zu machen, traf ich am späten Nachmittag auf vier Radfahrer, die an einem Restaurant angehalten hatten. Wie sich herausstellte, hatten sie mit dem Besitzer bereits verhandelt, dass sie hinter dem Haus würden zelten dürfen, mit unglaublich schönen Blick auf den See. Im Gegenzug wollte der Besitzer nur, dass sie bei ihm zu Abend essen und frühstücken würden.

Ich schloss mich spontan an. Ein wunderbarer Abend mit unvergesslichem Sonnenuntergang über dem See folgte. Am frühen Morgen wanderten wir die Böschung hinunter und gönnten uns ein Bad im kristallklaren, gar nicht so kalten See. Nach fast einer Woche ohne Dusche eine wahre Wohltat für mich! Denn meine bisherigen Gastgeber hatten zwar ein großes Herz gehabt, aber nie fließendes Wasser.

Es geht schief… und doch gut
Tags darauf trennte ich mich von meinen neuen Freunden, die weiter Richtung Bishkek fuhren. Mir ging es morgens schon nicht besonders, aber ich schenkte dem keine große Beachtung. Die Straße führte mich vom See fort in ein abgelegenes Tal, wunderschön anzuschauen mit seinen langvermissten Bäumen.

Der schöne Anblick ließ mich aber nicht ignorieren, dass mein Magen unglücklich war, sehr unglücklich. War der Fisch am Abend zuvor doch eine schlechte Wahl gewesen? Die Magenkrämpfe machten aus der eigentlich schönen Strecke gen Karakol eine kleine Tortur. Dort angekommen versuchte ich, bei der lokalen Gastinitsa (Hotel) ein Zimmer zu bekommen. Allerdings stand ich vor verschlossenen Türen. Alle Versuche, die Zuständigen für die Gastinitsa ausfindig zu machen, blieben erfolglos.

Und das obwohl mehrere Dorf-Bewohner versuchten, die zuständige Dame auf ihrem Telefon zu erreichen. Mist! Ich hatte sehr auf ein Bett gehofft (mit einer Toilette in der Nähe), um meinen Magen etwas auszukurieren. Ja, es gäbe da noch ein anderes Hotel, meinte eine ältere Frau. Gut, also umgedreht und ihren Angaben gefolgt.

Bevor ich etwas finden konnte, traf ich auf eine resolute Kirgisin mit ihrer bildhübschen Tochter. Ich fragte sie nach dem Weg zum Hotel. Sie schaute mich nur aufmerksam an und meinte: „Ach, lass doch, komm einfach mit zu uns.“ Ich bekam das Zimmer der Tochter, wo mir – wie in Kirgistan üblich – ein Schlaflager aus Matten und Decken bereitet wurde.

Allerdings verbrachte ich nicht viel der Nacht darin. Deutlich mehr Zeit schlug ich im hölzernen Toilettenhäuschen im Garten tot, mit Magenkrämpfen, wie ich sie noch nie erlebt hatte. Zu meinem Glück war ich nicht in einem Hotel gelandet, sondern bei einer Familie, die mich wie eine weitere Tochter aufnahm und sich um mich kümmerte.

Mit Medikamenten, magenfreundlicher Kost, viel Tee und regelmäßigen Ermahnungen, möglichst viel zu ruhen. Das fiel mir nicht schwer – ich war so schwach, dass ich kaum aufstehen konnte. Nach zwei Tagen ging es mir langsam soweit besser, dass ich mir zutraute, mich wieder auf mein Rad zu setzen.

Auf nach Osh!
Ich nahm Abschied von meinen Gastgebern und bedankte mich von Herzen. Zusätzlich ließ ich ihnen etwas Geld da, welches ich ja in einem Hotel oder Restaurant auch gezahlt hätte. Auch wenn Menschen in Kirgistan oft darauf verweisen, dass es doch selbstverständlich sei einem Fremden zu helfen – ich empfand es immer als Zeichen der Höflichkeit, zumindest die Unkosten zu zahlen. Was sie mir gaben – Wärme, Freundlichkeit, ein Willkommen – war ohnehin mit Geld nicht aufzuwiegen.

Kaum saß ich im Sattel, merkte ich, wie schwach mein Körper noch war. Ich war gerade bis zum kleinen Wochenmarkt gekommen, wo ich meinen Proviant aufstockte (und hoffte, ihn auch wirklich würde essen können!), als ich merkte, dass mit meiner Kette etwas nicht stimmte.

Bei genauerer Inspektion entdeckte ich, dass ein Kettenglied dabei war sich zu lösen. Mein Versuch, es mit einem Kettennieter wieder zusammenzupressen, klappte nur leidlich. Was tun? Vor mir lag zwar eine spektakuläre Schlucht, bekannt für ihre Schönheit  und ihr türkisblaues Wasser. Aber eben auch eine schmale Straße, bei der ich schlecht am Wegesrand halten könnte, um im Zweifelsfall die Kette zu  tauschen. Dazu mein geschwächter Körper und die zunehmende Hitze… spontan hielt ich kurz nach der Stadt an, um wieder den Daumen hinauszustrecken.

Kaum hatte ich mich dazu entschlossen, hielt auch bereits ein klappriger LKW. Die beiden Kirgisen im Führerhäuschen hörten sich meine auf russisch unbeholfene Geschichte an und zuckten dann entschuldigend mit den Schultern: die beiden Sitze im LKW waren bereits besetzt, der geschlossene LKW voll beladen. Etwas entmutigt fing ich denn an, doch aus der Stadt hinauszuradeln in die karge Schlucht vor mir.

Eine Biegung später – da stand der LKW ein weiteres Mal. Die beiden Kirgisen waren ausgestiegen und winkten mich mit beiden Händen heran. So ein bisschen Radfahrer und so ein bisschen Fahrrad, ach, das würde man schon noch unterbringen. Im Fall der Radfahrerin: in der Schlafkoje hinter den Sitzen. Die Müdigkeit nahm sofort überhand und so schaukelte ich denn zwischen Wachen und Träumen meiner nächsten Station entgegen: Osh.

Alles, was es zu kaufen gibt: Basar und Tiermarkt
Osh ist berühmt für seinen Basar, der eine wahre Stadt in der Stadt darstellt: ein schier unendliches Gewirr von Gassen und Gässchen, in denen es alles zu kaufen gibt von getrockneten Tomaten über Eisenwaren hin zu Thermo-Strumpfhosen mit Glitzer-Applikationen.

Meine Abfahrt ins Pamir-Gebirge gen Tadschikistan stand bevor. Angesichts der rasch sinkenden Temperaturen des Spätherbstes (nicht in Osh, aber im Gebirge) suchte ich zudem noch einen weiteren Fleece-Pullover. Ein Geheimtipp dafür ist der riesige Second-Hand Laden gegenüber des Basars. Dort machte ich ein wahres Schnäppchen. Wo findet man sonst ein gutes Fleece für umgerechnet 1,50€?

Ich verbrachte die Tage im Genuss der Sonne bei Tag und mit schönen Gesprächen mit anderen Radreisenden am Abend. Das Tess Guesthouse in Osh, etwas außerhalb am Stadion gelegen, ist dafür die beste Adresse, zumal man auch kostengünstig im Garten zelten kann. Ein kirgisisches Highlight erwartete mich jedoch noch: der berühmte Furkat (Tiermarkt), der jeden Sonntag stattfindet.

Wer das meiste herausholen möchte aus seinem Besuch, sollte früh aufstehen. Als wir um 9 Uhr eintrafen, waren viele Tiere schon verkauft, wie uns einige Händler bedauernd erklärten. Dennoch erwartete uns ein unglaubliches Gewirr aus Tieren und Menschen.

Neben den vielen Händlern und potentiellen Käufern finden sich hier Schafe, Kühe und – für die Kirgisen besonders wichtig – Pferde. Ich hatte das Gefühl, hier nicht zu stören als Tourist. Ganz im Gegenteil posierte manch ein Kuh-Händler stolz mit seinem Pracht-Tier und auf dem Pferde-Markt wurde ich eingeladen, ein Pferd probe zu reiten. Dass ich sicherlich keines kaufen würde: geschenkt, denn alle Beteiligten hatten ihren Spaß.

Ich wusste jedoch, dass ich fürs erste bei meinem treuen Draht-Esel bleiben würde. So rief denn die Weiterfahrt in den Pamir und über die Landesgrenze und ich nahm Abschied von einem wunderbaren Land mit unglaublich gastfreundlichen Menschen.


One Response to Von Nomaden, Wölfen, Seen und unglaublicher Gastfreundschaft

  1. Christian Glabasnia says:

    Danke für den liebevollen Bericht

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