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Reisebericht: Mit dem Packraft in Patagonien

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Das südlichste Ende des amerikanischen Kontinents zählt für mich zu jenen Destinationen, die ob ihrer Vielfalt und Größe nicht an Reiz verlieren. Zudem bietet es die Möglichkeit, dem mitteleuropäischen Winter zu entfliehen. Nach mehr als einer halben Dekade der Abwesenheit brach ich im Januar 2020 endlich wieder auf, um eine mir weitestgehend unbekannte Ecke Patagoniens zu bereisen. Der Plan war, mich von Coyhaique bis Punta Arenas in 5 Wochen zu Land und auf dem Wasser durchzuschlagen.

Cerro Castillo

Wo ist die Regenjacke, fragte ich mich wenige Minuten nach dem Aussteigen. Hochwahrscheinlich lag sie noch auf dem Bussitz. Ich sprintete also leicht panisch Richtung Stadtzentrum auf der Suche nach dem Busbahnhof, fand ihn und meinen Bus, erkundigte mich außer Atem nach dem vermissten Objekt und man verwies mich ins Büro. Dort war sie. Und nach einem langen Flug über den Atlantik, Umstieg in Santiago de Chile, Landung in Balmaceda und Busfahrt nach Coyhaique war ich wach. Ich blieb hier eine Nacht, kaufte Brennstoff für den Kocher, etwas Proviant und inspizierte dieses Provinzstädtchen, was unerwarteterweise von den jüngsten massiven sozialen Protesten nicht verschont geblieben war. Davon zeugten verbarrikadierte Banken und Geschäfte und omnipräsente Farbsprühereien.

spuren

Am nächsten Tag trampte ich dann bis zum nördlichsten Zugang zum Cerro-Castillo-Nationalpark und ging los, immer bergan, durch Lengabuchenwälder und über Wiesen und Weiden. Ich gewann an Höhe, die Vegetation wurde spärlicher und hin und wieder öffnete sich der Blick auf Gebirgsketten und tiefliegende azurblaue Seen.

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Irgendwann setzte ich einen Fuß falsch, rutschte, fiel ein paar Meter, landete, überschlug mich ein paar Mal, fand wiederum Halt im Geröll und sah meinem Rucksack dabei zu – der Hüftgurt war nicht geschlossen – wie er eine Geröllrinne hinuntersprang. Ich prüfte mich: Vitalfunktionen: vorhanden. Schürfwunden: auch vorhanden. Bewegungsapparat: funktionierend, wenn auch nicht ganz schmerzfrei. Dann rutschte ich meinem Gepäck hinterher. Der Rucksack war etwas lädiert, der Inhalt einschließlich der brandneuen Paddel aber auf den ersten Blick in Ordnung. Ich suchte die nächste Wasserstelle, errichtete das Zelt, wusch mich und meine hässlichen Wunden, verband diese, flickte den Rucksack, ruhte und überlegte, was zu tun sei. Und entschied mich am nächsten Morgen einfach weiterzugehen. Als wirklich störend und schmerzhaft in den nächsten Tagen erwies sich einzig eine Schürfwunde am Rücken just an der Stelle, wo der Hüftgurt aufliegt. Sonst war alles halb so wild, aber unschön. Nach so einem Malheur am ersten Tag konnte es ja nur besser werden.

Weiter ging es über einige Höhen, durch unwegsame sumpfige Wälder und durch Geröll- und Blockfelder. Das Wetter war teils freundlich, teils eher fies mit Schnee, Regen und Sturm, wie es sich für Patagonien gehört. Bald hatte ich den Teil des Nationalparks erreicht, der von Süden oder Osten gut erreichbar ist, und traf so seit Tagen wieder auf Menschen, passierte die vergletscherten höchsten Gipfel, und nach einem langen Abstieg erreichte ich Villa Cerro Castillo. Ich schlug mein Lager auf einem Zeltplatz auf, nach der Dusche kaufte ich im nahen Örtchen ein paar Kleinigkeiten zum Essen und Dosenbier, trank noch einen Kaffee und entspannte mich in der Sonne. Am nächsten Tag dann begab ich mich zum Rio Ibanez, pumpte das Boot auf und paddelte gen Süden. Bei Puerto Ingeniero Ibanez ging ich an Land und bekam noch knapp die letzte Fähre nach Chile Chico über den Lago General Carrera.

Rio Baker

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Dort nahm ich am nächsten Tag den Bus nach Cochrane, wo ich eine Nacht blieb und dann den Rio Baker bis nach Caleta Tortel befuhr. Der Rio Baker erwies sich als mächtiger und launischer Strom, mal zäh dahinfließend, dann deutlich Geschwindigkeit aufnehmend, mal durch Canyons donnernd, mal von Hindernissen unter der Wasseroberflächen geprägt. Kurzum, eine Herausforderung. Einzig an zwei Stellen musste ich portagieren, und nur einmal kenterte ich, als ich unversehens in einen Strudel geriet und das Gleichgewicht verlor. Ansonsten waren die Tage sehr gut, oft konnte ich mich einfach treiben lassen, die Landschaft zeigte sich abwechslungsreich wie auch das Wetter, es gab viel Regen. Und ich wurde immer besser im Lesen des Flusses, im Finden der besten Linie und dem Umschiffen von Hindernissen und Gefahren. Das Fortkommen wurde einzig durch den starken Gegenwind gehindert. Kurz vor Tortel landete ich an, nahm mir ein Zimmer und spazierte durch das autofreie Örtchen auf Stelzen, umgeben von Fjorden und Bergen.

Nach Villa O‘Higgins

Weiter ging es dann mit einem Bus Richtung Villa O’Higgins, ich ließ mich allerdings auf halber Strecke rauswerfen, um am Rio Ventisquiero und Rio Bravo entlang nach Norden zu gehen und dann auf Lago Alegre und Lago Christie paddelnd ins südlich gelegene Villa O’Higgins zu gelangen. Diese Tour hatte nun wiederum andere Herausforderungen parat: neben dem permanenten Navigieren durch dichtes Unterholz machte vor allem die massive Verschlammung der gelegentlich rudimentär vorhandenen Fährten das Vorwärtskommen nicht leicht. Nichtsdestotrotz, die unberührte exquisite Landschaft mit Bächen, Lengabuchen, Mooren, Sümpfen und schneebedeckten und vergletscherten Gipfeln entschädigte etwas für die Strapazen. Das Paddeln auf den Seen wiederum hätte unkompliziert sein müssen, aber nur wenn man den Wind als Faktor ausschließen würde. Er kam zum Glück meist von hinten, trotzdem ist das Steuern eines Luftbootes im Sturm durch meterhohe Wellen eine sportliche Herausforderung. Beispielweise dort, wo ein See, begrenzt von hohen Felswänden, zum Nadelöhr wird, wie am Ende auf dem Lago Christie. Aber auch dies gelang mir durch energisches Paddeln.

Ich erreichte bald eine Schotterpiste mit keinem Verkehr, auf der ich gen Süden trottete. Aber es kam doch noch eine Grenzpatrouille, die wissen wollten, ob ich gerade illegal aus Argentinien eingereist sei, was ich verneinte, und die mich freundlicherweise ein paar Kilometer mitnahm. Ich nächtigte an einem tosenden Flüsschen und das Spiel des Vortages wiederholte sich: wandern auf Schotterpiste bis zum Eintreffen der Gendarmerie, die mich jetzt aber bis Villa O’Higgins mitnahm.

road to almost nowhere

Hier wartete ich vier Tage, bis die Wetterprognose für die Passage über den Lago O’Higgins passend für den Fährbetrieb wurde. Das sehr junge Örtchen am Ende der Carretera Austral hatte einen besonderen Charme vom Ende der Welt. Alles war sehr improvisiert und scheinbar provisorisch errichtet, es gab minimale Infrastruktur wie Geschäfte und Restaurants für die wenigen Touristen, die von hier mit der Fähre nach Süden weiter wollten. Außer ein paar längeren Spaziergängen in der Umgebung und einer Miet-Mountainbike-Fahrt unternahm ich noch eine Bootsfahrt. Der Betreiber einer kleinen Tourismusagentur war neugierig auf mein Packraft, er fuhr mich ein paar Kilometer flussaufwärts, filmte und fotografierte mich beim Aufbau und Paddeln, und sammelte mich an der Mündung wieder ein. Das mehrmals tägliche Sich-Erkundigen, wann eine Überfahrt möglich wäre, hatte irgendwann ein Ende, die Nachricht verbreitete sich im Ort, und am frühen Nachmittag legte das Boot ab.

Nach El Chalten

Das Wetter war gut und die vorbeiziehenden Berge und Buchten waren beeindruckend, und erst gegen Ende der Fahrt wurde der See etwas rauer. Am anderen Ufer in Candelario Mancilla gab es einen Zeltplatz und überglückliche Wartende, da sie ebenfalls ein paar Tage ausharren mussten, bloß gab es an diesem Ende keine Infrastruktur, keinen Ort, nichts zu essen, nichts zu kaufen. Am nächsten Morgen reiste ich aus Chile aus und war dann fast einen Tag im sehr verregneten und morastigen Niemandsland, bevor ich am argentinischen Grenzposten am Lago del Desierto ankam. Ich ging noch ein paar Kilometer weiter und zeltete am See. Der nächste Tag zeigte sich mit strahlendem Sonnenschein, ich traf bald auf die Piste nach El Chalten und fuhr Rio Milo und Rio de las Vueltas hinab, den Fitz Roy Steuerbord voraus.

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Kurz vor El Chalten blieb ich auf einem Zeltplatz und nahm am nächsten Tag von dort den Bus nach Calafate, und von dort wiederum den Bus nach Punta Arenas, mit einem Zwischenstop in Puerto Natales.

Strandspaziergang

Da ich noch eine knappe Woche Zeit hatte, entschied ich mich dafür, immer an der Magellanstrasse entlang bis zum südlichsten Festlandspunkt des amerikanischen Kontinents, Cabo Froward, zu gehen, wobei ich das Boot in Punta Arenas ließ und dementsprechend leichter unterwegs war. Diese Tour war wiederum traumhaft, absolute Ruhe, strahlender Sonnenschein, schnee- und eisbedeckte Gipfel jenseits der Magellanstrasse, Delphine. Und spontan – ich kam gerade von einer Höhe hinab und traf auf den Strand und mir war warm – badete ich im ziemlich kalten Atlantik und Pazifik.

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Dann ging es zurück, nach einer Nacht in Punta Arenas flog ich nach Santiago, blieb dort noch einen Tag und war doch etwas überrascht ob der Dimensionen der Verwüstungen der jüngsten massiven sozialen Proteste, die sich an Fahrpreiserhöhungen für den öffentlichen Nahverkehr entzündeten und eine Lawine auslösten. Nicht nur waren viele Gebäude und anderes mit Parolen verziert, auch die Metro war größtenteils noch nicht wieder in Betrieb genommen. Ich vertrieb mir die kurze Zeit mit Spaziergängen und den Annehmlichkeiten der Zivilisation, wie Eis essen. Die 5 Wochen waren ziemlich schnell vergangen, 5 sehr verschiedene Touren hatte ich hinter mir und ich befand mich bald wieder in 10 000 Metern Höhe mit dem Kurs Nordnordost, mit dem Vorsatz, bis zum nächsten Besuch nicht wieder so viel Zeit vergehen zu lassen.

 


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