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Portaging in Kanada: unterwegs wie die Ureinwohner

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Es begann im Herbst…Nadeja lernte einen Kanadier kennen…er lud sie in seine Heimat ein… sie gingen paddeln… trafen wilde Tiere…schliefen unter freiem Himmel…wie es weiter geht erfahrt ihr hier: Kanada! Allein das Wort bedeutete für mich schon immer Abenteuer!


Aus Film und Buch wusste ich von gefährlichen Grizzly Bären, pirschenden Wölfen, den felsigen Rocky’s, runzlig-bärtigen Goldsuchern und weisen Indianern. Und: dass man dort irgendwo auch Französisch spricht.

Wie das Leben manchmal so spielt, lernte ich eines Tages einen Kanadier kennen und das Schicksal wollte, dass wir uns verliebten. Und so überflog ich den Atlantik zum ersten Mal. Mein Gastgeber lud mich ein, ein Wochenende in dem Ferienhaus seiner Familie an den Kawartha Lakes zu verbringen. Es war schon Anfang Oktober und das Kanadische Thanksgiving stand bevor. Zugleich ist auch traditionell das letzte Wochenende, bevor man die Ferienhäuser für den Winterschlaf vorbereitet und sich in die Stadt zurück zieht.

Das Klima im Oktober ist ein würdiger Vorbote des bevorstehenden langen und schneereichen Winters und voller Sehnsucht wartet man noch einmal auf den Indian Summer: der letzte Schwall warme Luft, mit Temperaturen bis zu 20 Grad Celsius und mehr. Welche, in Kombination mit der herbstlichen Farbenvielfalt, auf mich romantischer wirkte als der Frühling. (Oder lag dies an meinem Gastgeber?) Nach einem entspannten Wochenende und einer kurzen ,aber offensichtlich ausreichend erfolgreichen Einführung in den Kanusport, wurde ich nun von ihm in die Kanadische Wildnis eingeladen. Das Ziel: Portaging im Killarney Provincial Park.

Portaging – was ist das eigentlich?
Portaging wurde in Kanada von den Ureinwohnern praktiziert, die mit dem Kanu unterwegs waren. Wegen gefährlichen Stromschnellen oder hohen Wasserfällen mussten sie manchmal auf das Land ausweichen und ihr Kanu (plus Gepäck) durch unwegsames Gelände tragen. Um es danach wieder aufs Wasser zu setzten und weiter zu rudern haben portaging erfunden. Heutzutage ist es unter den Kanadiern als Freizeitsport sehr beliebt.

Woher bekomme ich ein Kanu?
Am besten mietet man das Kanu, Ruder, Schwimmwesten und Sicherheitskit bei Killarney Outfitters. Man bestellt diese telefonisch und kann das Kanu dann direkt am Ausgangspunkt des Parkes, bzw., am Ufer des Sees (wo auch das Auto geparkt wird) erwarten. Rückgabe geschieht auf dem gleichen Weg. Ruder, Schwimmwesten und Sicherheitskit muss im Laden der Killarney Outfitters abgeholt werden, die sich zwischen dem Park und dem Oertchen Killarney befinden. Dort bekommt man auch noch eine kleine Auswahl an Ausrüstung, falls etwas vergessen oder etwas gegessen wurde auf der langen Fahrt von Toronto (wie zum Beispiel die Snacks und Proteinriegel… wie dies bei mir der Fall war.)

Unsere Tour – vom Carlyle Lake zum Sandy Lake
Von Toronto aus fährt man am besten mit dem Mietauto Richtung Norden, alternativ fährt auch der ‚Parkbus‘ von Toronto aus zu allen Parks in Ontario. Die Fahrtzeit zum Killarney Provincial Park mit dem Auto beträgt ca. fünf Stunden. Die letzten Kilometer entlang des Parks sind Auto-taugliche Schotterstraße. Wer ein Handy mitgebracht hat, kann es schon jetzt ausschalten, denn der Netzempfang endet mit dem Asphalt. Südlich der Schotterstraße befindet sich das Wikwemikong Indianer Reservat (Wikwemikong bedeutet passend Biberbucht). Hier muss gesagt werden, dass ungeladenes Betreten nicht immer willkommen ist.

Wir parkten das Mietauto am Ufer des Carlyle Lake (einer von drei Parkeingängen). Erwartungsgemäß waren die Temperaturen kühler als in Toronto, recht windig, aber mit tief-blauen Himmel und eine noch wärmende Oktobersonne am morgendlichen Horizont. Wer die Wahl hat zwischen Sommer und Herbst um den Park zu besuchen, kann zwischen Mückenschwärmen und eiskalten Nächten entscheiden. Angrenzende Sumpfgebiete verwandeln diesen Parkeingang in den warmen Monaten in ein summendes Mückenparadies.

Jetzt geht’s endlich richtig los
Carlyle Lake ist lang (3.3 km) und wir paddelen stetig. Wir haben unseren leisen Rhythmus, niemand spricht. Wir atmen die wilde Schönheit ein. Als wir die Mitte des Sees erreichen, verdunkelt sich plötzlich das Wasser und aus der Morgenbrise entsteht ein unfreundlicher Wind. Wellen brechen nun am Kanu, eiskaltes Wasser spritzt mir ins Gesicht und wir verlieren unseren Rhythmus.

Paddeln – gegen den Wind
„Paddle!“ ruft mir jemand aus der Ferne zu, dabei sitzt er nur zwei Meter hinter mir. Hören wir auf zu paddeln, werden uns Wind und Strömung wie nichts gegen das felsige, hohe Ufer treiben und das Kanu kann brechen. Mit Kraft drehen wir vorsichtig aus dem Wind, eiern noch ein wenig umher und dann ist Windstille. Mit zittrigen Beinen steige ich aus dem Kanu und nach einer kurzen Pause und dem schwer gefüllten Rucksack auf den Rücken machte ich mich auf den Weg.

Ohne Kavalier geht’s nicht
Das Portaging übernimmt natürlich mein Kavalier. Außer seinem eigenen Trekkingrucksack, schwingt er sich das große Kanu galant auf die Schultern. Nicht so schwer wie es aussieht, versichert er mir. Der Pfad ist schmal und übersäht mit gelben und roten, feuchten Blättern. Sonnenschein glitzert uns durch die Baumkronen an und es ist selbst im Wald tatsächlich angenehm warm.

Ruhe und ewige Stille zu zweit
Nach einem guten Kilometer durch den herbstlichen Laubwald, ist immer noch weit und breit keine Menschenseele zu sehen oder zu hören. Der Rucksack wird langsam schwer und ich freue mich riesig, als ich vor uns bergab Licht durch die Baumdichte erblicke. Die letzten paar Meter stellen eine steile treppenartige Wurzelwand dar, die wir beide mit Vorsicht gut meistern. Nach einem Schluck Wasser geht es nur kurz mit dem Kanu auf Lake Kakakise. Das Ufer und der dazugehörige Pfad sind durch ein kleines, rotes Orientierungsviereck markiert und von Weitem gut zu erkennen. Die nächste Wanderung ist etwas länger, 1.5 km und bergauf.

Nachdem wir diese Strecke mit Kanu zu Fuß bewältigen, erwartet uns eine wunderschöne, wilde Aussicht. Menschenleerer Lake Norway und die ersten höheren, weiß-felsigen Hügel im Hintergrund. Norway Lake hat drei Zeltplätze, wieder markiert durch rote Vierecke. Wir entschieden uns für den auf der kleinen Insel.

Die erste Nacht unter freiem Himmel
Es ist ein belohnendes Gefühl, wenn man endlich das Zelt stehen sieht und das Wasser auf dem Gasbrenner kochen hört. Zum Nachtisch gibt es Sternegucken mit kalten Nasen. Ein nahes Heulen verleiht diesem Abend eine besondere Atmosphäre. Zuerst denke ich aufgeregt es sind Wölfe, aber wie sich herausstellt, ist dies der sehnsuchtsvolle Ruf des Seetauchers. Die darauffolgende Nacht verbringe ich weniger romantisch. Jedes Rascheln im Busch verwandelt sich (in meiner Fantasie) zu einer bevorstehenden Bärenattacke. Mein Begleiter hätte mich schön ausgelacht, hätte er nicht tief und sorgenlos geschlummert.

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt
Es gibt wirklich nichts im Zelt, das einen Schwarzbären anlocken könnte, denn unser gesamter Essensvorrat und alles was einen Duft ausstrahlt, hängt dicht versiegelt von einem entfernten Ast über dem Wasser. Noch bevor die Sonne aufgeht, werden wir plötzlich von einem lauten, ungewöhnlichen Geräusch geweckt. „Schnell“, springt mein Begleiter auf, „nimm deine Kamera mit“ und zieht mich aus meinen kuschelig warmen Schlafsack. Da schwimmt tatsächlich eine riesige Elchkuh an uns vorbei und das laute Geräusch ist ihr Schnaufen. Ich werde aufgeklärt, dass sie wahrscheinlich von Wölfen gejagt wird, denn nur selten weichen Elche in dieser Jahreszeit auf das Wasser aus.

Nach einer kleinen Wanderung setzen wir unseren Ausflug fort. Das nächste Ziel: Sandy Lake. Am nordöstlichen Ende von Norway Lake ist eine Verengung des Sees als fraglich-passierbar auf unserer Karte markiert, d.h., falls das Wasser saisonabhängig hoch genug ist, kann man die Fahrt auf einem schmalen Fluss bis Sandy Lake fortsetzen. Dies ist aber nicht unser Fall. Es ist kaum Wasser da und wie wir auf der Karte feststellen, befindet sich der eigentliche Portaging Weg zu Sandy Lake auf einem Hügel über uns.

Die Abenteuerlust ergreift uns
Da wir aber keine Zeit verschwenden wollen um zu Beginn des Weges zurückzupaddeln (der befindet sich am südlichen Ende von Norway Lake), entscheiden wir uns für ein kleines Abenteuer. Mit dem Kanu und unser Gepäck bergauf, durch unwegsamen Busch. Wir helfen uns gegenseitig mit dem Tragen des Kanus und schaffen es, bis auf ein paar Kratzer, unversehrt hoch zu kraxeln. Oben schließen wir uns dem eigentlichen Portaging Weg an. Kurze Zeit später sind wir am moorigen Beginn von Sandy Lake. Also wieder zurück ins Kanu. Nach kurzem Paddeln trafen wir auf ein Hinderniss: ein Biberdamm. Der gute Biber hat tatsächlich einen fast 1,50 Meter hohen Deich verursacht, den wir nun passieren müssen. Das Ufer ist schlammig und unpassierbar bewachsen. Als ich aus dem Kanu steige, bleibt zugleich mein linker Fuß in dickem Schlamm stecken. So fest steckt er da, dass ich eine Keen Sandale dem Abenteuer opfern muss.

Sandy Lake begrüsst uns stürmisch, trotz klarem Himmel und wir kämpften erneut, aber dieses mal nur kurz, mit einer dunklen, welligen Strömung. Einen einzigen Zeltplatz bietet dieser See, der aber unpopulär ist, da dieser See eine Sackgasse bildet und die meisten Kanadier loops im Park bevorzugen. Trotzdem muss man vorher bei Killarney Provinical Park anrufen und reservieren. Dies ist unsere letzte Nacht im Park. Und was für eine Nacht das wird! Zu erst beeindruckt uns der Abendhimmel in sattem Lila und wir genießen diesen letzten Abend in der Wildniss wehmutig zusammen mit einem Seetaucher.

Aller Abschied ist schwer
Nach einem guten Frühstück bleibt noch etwas Zeit um sentimental zu werden. Unser Rückweg verläuft weniger abenteuerlich, aber nicht weniger atemberaubend. Mit Wehmut winke ich einer Schnappschildkröte an unserem Kanu vorbei und bin letztendlich schwer enttäuscht keinen Bären getroffen zu haben. Nagut, vielleicht beim nächsten Mal! Wirklich? Werde ich denn wiederkommen?

Ja, ich kam wieder! Wahrscheinlich hatte ich den Tauglichkeitstest für kanadische Ehefrauen bestanden, denn ein paar Jahre und mehrere gemeinsame Abenteuer in Kanada und Neuseeland später, wurden wir getraut und haben eine kleine Tochter, die wir im Sommer zum ersten Mal zum Zelten in den Killarney Provincial Park mitnehmen werden.


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