Nachdem die Regierung der Volksrepublik China Ende 2023 die Aufhebung der Visapflicht bei Aufenthalten bis zu 15 Tagen verkündete, beabsichtigte ich zum nächstmöglichen Zeitpunkt wieder in dieses von mir hochgeschätzte Reiseland zu reisen. Ende April war es dann so weit – auch wenn es Stimmen geben mag die Aufwand und Nutzen von einer 10-tägigen Fernreise kritisch abwägen mögen – ich finde, es lohnt sich auf jeden Fall.

Anreise

Das stressigste der ganzen Reise gab es gleich zu Beginn: Da die Hauptstadt der BRD nur über einen Flughafen verfügt, von welchem man primär in dubiose Orte wie Düsseldorf oder Stuttgart fliegen kann, nahm ich den Zug nach Frankfurt zu einem richtigen Flughafen an einem sehr frühen Morgen.
Bloß: dieser Zug konnte nicht losfahren, da das Personal in einem anderen verspätetem Zug saß. Glücklicherweise war für mein Ticket die Zugbindung aufgehoben worden, also nahm ich einen Zug nach Köln (dass der Zug unterwegs wegen einer Weichen- oder Signalstörung immer langsamer wurde und öfter auch länger herumstand ist wohl normal) und von dort weiter, und wegen meines generös geplanten Zeitpuffers schaffte ich meinen Flug. In Shanghai wechselte ich dann das Flugzeug und landete nachmittags in Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan.

Start in Kunming

Ich nahm die Metro, bezog mein Quartier und lief wegen des Bewegungsmangels in der Luft erstmal durch die Stadt. Und wie bei bisher allen Besuchen gab es wieder etwas zum Staunen: Ich wunderte mich, warum der Verkehr auf vollen 6-spurigen Straßen so leise von statten ging, bis ich realisierte, dass ein Großteil der Autos mit Elektroantrieb fuhr. Hin und wieder wurde die Ruhe nur von Bussen mit röhrenden Dieselmotoren gestört. Waren schon vor 10 Jahren beinahe alle Motorroller elektrisch, so waren es jetzt ungefähr die Hälfte aller PKW, alle Taxis, und auch viele Transporter.
Mit spürbarem Jetlag fuhr ich am nächsten späten Vormittag los – den Radkoffer durfte ich netterweise für 9 Tage im Hotel lassen – erst durch nicht so schnell enden wollende Urbanität, der Verkehr auf den Zweiradtrassen war durchaus stressig, wurde aber dünner, und bald erreichte ich den Dian-See, fuhr an diesem entlang nach Süden, kreuzte zum Fuxian-See und erreichte abends den Xingyun-See. In der Abenddämmerung schlug ich dort mein (Innen)Zelt auf; es gab menschliche Spuren am Ufer, aber der Platz sah sonst ganz ruhig aus. Der Schein war ein trügerischer. Im Verlauf der Nacht gab es zahlreiche Besucher, die entweder angelten, badeten oder sonstwas trieben, was meiner Nachtruhe nicht wirklich zuträglich war. Zudem schallte aus einem nahen Dorf laute Livemusik. Irgendwann wurde es hell und ich fuhr weiter, auf großen und kleinen Straßen, nach Jianshui. Ich gewöhnte mich an Gepflogenheiten, wie ohne zu gucken von rechts auf die Hauptstraße zu fahren (Zweiräder) oder ohne zu gucken rechts abzubiegen(Autos). Aber sonst zeigten sich die anderen Verkehrsteilnehmer sehr rücksichtsvoll, beispielsweise halten sie beim Überholen, was auf kleinen Straßen mit Hupen angekündigt wird, sehr viel Abstand und vollziehen in den meisten Fällen einen kompletten Spurwechsel.

Unterwegs

Jianshui (oder Lian) war dann ganz hübsch mit dezentem Inlandstourismus und alter Bausubstanz, abends photogen illuminiert, obwohl für mich als Laien schwer zu sagen ist, was wirklich alt war oder aus traditionellem Material und nach traditioneller Architektur neu gebaut. Am nächsten Tag fuhr ich Richtung Südosten am Yilongsee mit starkem Gegenwind vorbei, irgendwo den Wendekreis des Krebses überfahrend, hinab in das Tal des Roten Flusses und erreichte abends Yuanjiang. Zwischenzeitlich waren es über 40 Grad Celsius, da aber die Hitze extrem trocken war, war es erträglich. Trotz der Aufnahme von unglaublich viel Flüssigkeit klebte die Zunge permanent am Gaumen. Die Vegetation jenseits fruchtbarer Täler machte kurz vor der Regenzeit einen ziemlich verdorrten Eindruck. Meine grobe Routenplanung erfolgte in der Regel am Vorabend, was mich nicht davon abhielt dann spontan doch anders zu fahren. Mittlerweile war ich, nicht zuletzt wegen einer unter diesen klimatischen Bedingungen höchsterfreulichen abendlichen Dusche, dazu übergegangen, nicht zu Zelten, sondern mir immer spontan (also am selben Tag, wenn sich abzeichnete wo ich abends landen würde) ein Zimmer zu buchen. In Yuanjiang war es dann das beste Hotel („The New World International Hotel“!) im überschaubaren Ort für einen unglaublich guten Preis, selbstverständlich konnte ich das Rad mit ins Zimmer nehmen, abends gab es dann in der Haupteinkaufsstraße noch ein Kulturprogramm mit diversen ethnischen Minderheiten, (die in einer relativen Vielzahl in Yunnan anzutreffen sind), und irgendwann wurden auch die Temperaturen erträglicher. Kurzum, Hotelübernachtungen hatten den Vorteil, mehr von Land und Leuten in Städten mitzubekommen, weil ich in jedem Ort, wo ich blieb, ein paar Stunden umherlief.

Kreuz und Quer

Für den nächsten Tag stand dann mal eine Bergwertung nach Eshan an, über 2500 Höhenmeter auf 120 Kilometern galt es zu überwinden. Eine Passstraße wurde dummerweise von Kolonnen schwerer LKW frequentiert. Aber auch diese fuhren extrem rücksichtsvoll. Einmal wunderte ich mich, was langsam hinter mir her surrte, für ein übliches Elektromoped klang es etwas zu schwer. Das Gefährt entpuppte sich dann als stromgetriebener 40-Tonner, von denen ich dann später immer wieder welche sah.
Es gab große und kleine Straßen, Berglandschaft, Landwirtschaft, Bergbau und Industrielandschaft, kontrastreich und widersprüchlich wie das Land selbst: Landwirtschaft auf winzigen Parzellen an Berghängen und Bewässerung wie sie seit Tausenden von Jahren betrieben wird, Hightech und Elektromobilität, einfache Hütten und Hochhäuser. Unterwegs gab es generell zahlreiche Versorgungsmöglichkeiten, also in jedem noch so kleinen Ort, die Freundlichkeit der Menschen zeigte sich im Anbieten von Wassermelonenscheiben, Kürbiskernen oder ähnlichem, das Hineinbeten in den an Tankstellen üblichen, wohl primär für Fernfahrer vorgesehenen Aufenthaltsraum, oder im Spendieren von Wasserflaschen von Tankstellenpersonal. Die Neugierde konnte ich einzig durch das Erlauben des Anfertigens von Selfies, sei es von giggelnden Teenagern, Tabakwarenverkäufern oder anderen Radreisenden, von denen ich eine Handvoll antraf, befriedigen.

Am nächsten Tag zeigte sich das Wetter wechselhaft mit Sonne, Wolken, Regen und Wind, entspannt rollte ich wieder auf großen und kleinen, und leider auf der finalen Abfahrt auf sehr kaputten Straßen dahin und erreichte Yimen am Abend. Im Hotel wurde es dann kompliziert: die junge Frau an der Rezeption war offenbar von der verschwitzen und verdreckten Langnase mit Fahrrad, die offensichtlich dringend eine Dusche brauchte, überfordert. Sie führte einige Telefonate, kommunizierte mit mir via Translator, kopierte meinen Pass außer Haus, und irgendwann betraten 3 Polizisten, (ein älterer Mann, eine junge Frau und ein junger Mann) das Etablissement. Kurz und knapp stellten sie Fragen, nachdem sie sich als Angehörige des Public Security Bureaus ausgewiesen hatten, die ich ebenso beantwortete (alles via Smartphone). Zuletzt wollten sie wissen, wann ich ihre Präfektur wieder verlassen würde. „Morgen.“ ,sie machten dann noch ein paar Selfies mit mir und wünschten mir eine schöne Zeit in China. Keine Spur von Arroganz oder dem Agieren Behörden anderer Länder inhärenten, subtilen oder offensichtlichen autoritären Spielchen, sondern professionelle Ausführung ihres Jobs, verbunden mit einer gewissen Neugier. Offensichtlich wusste die Rezeptionistin nicht, wie man Ausländer bei der zuständigen Behörde registriert, und so mussten sie es selbst übernehmen, und ich konnte dann endlich Duschen.

Auf und Ab

Mit einigem Auf und Ab fuhr ich am nächsten Tag bis Chuxiong (meine längste Etappe mit über 160 Kilometern), es fuhr sich entspannt, mal davon abgesehen dass ich bei einer schnellen Abfahrt in einer Kurve bremste, das Hinterrad auf der regennassen Straße ausbrach, und ich ein paar Dutzend Meter über den reibungsarmen Asphalt ohne nennenswerte Schäden an Mensch und Material rutschte und die letzten 20 Kilometer langweilig gewesen wären, wenn nicht ein tropischer Gewittersturm niedergegangen wäre. Meine Fahrt nach Yuanmou am nächsten Tag erfolgte bei besserem Wetter, nachdem ich die von zahlreichen Kanälen geprägte Altstadt von Chuxiong inspiziert hatte fuhr ich nach Norden, und auf den letzten 40 Kilometern verlor ich 1000 Meter an Höhe, was mir einige Rekorde bescherte(20 Kilometer mit 50 km/h!) und ziemlichen Spaß gemacht hat. Die verlorenen Höhenmeter galt es dann am nächsten Tag wieder einzufahren. Über 40 Kilometer mit leichtem Anstieg und über 1500 Höhenmetern gab es gleich nach dem Frühstück. Danach wurde alles leicht. Etwas Ablenkung und eine längere Pause im Anstieg wurden mir von einem jungen Mann und seiner schüchternen Schwester verschafft, die einen Ausflug auf dem Motorroller machten. Er sprach durchaus passables Englisch und befragte mich ausgiebig über das Radfahren, über meinen Eindruck von China, das Reisen im Allgemeinen und auch vor persönlichen Fragen wurde nicht zurückgeschreckt.

Zurück nach Kunming

Von Luquan fuhr ich am Folgetag in einer kurzen, aber durchaus reizvollen Etappe, die mich teilweise auf kleinen, primär für Radfahrer gebauten Straßen in der Peripherie Kunmings zurück zu meinem Startpunkt führte. Hier gab es erstaunlich viele, selbstverständlich freundlich grüßende Rennradfahrer, die wie wohl auch der Anblick von Wohnmobilen Zeichen einer wachsenden Mittelschicht sind. Im Hotel verfrachtete ich das Rad wieder im Koffer, zog mich entsprechend meiner begrenzten Möglichkeiten stadtfein an und machte einen letzten großen Spaziergang durch die Stadt. Die Rückflüge (Dreamliner auf der Kurzstrecke(!) nach Shanghai mit einer Reihe für mich!) waren dann entspannt und ereignisarm, ich schlief ungewöhnlich viel auf der Langstrecke, embryonal gekrümmt auf Zwei-ein-halb-Sitzen, und selbst die Bahnfahrt ab Frankfurt verlief ohne weitere Zwischenfälle.
Obwohl ich unüblich wenig „Strecke machte“ – etwas über Elfhundert Kilometer(und knapp 13 000 Höhenmeter) in 9 Tagen – und obwohl ich sehr unüblich 90% der Nächte in Hotels verbrachte war dieser Kurzausflug ins zu ferne Reich der Mitte eine richtig gute Tour mit neuen Erlebnissen und Erfahrungen, die ich nicht missen will.

Shortcuts

Yunnan hat ein sehr freundliches Klima fast das ganze Jahr über, außer vielleicht zur Regenzeit im Sommer, so wird Kunming auch Stadt des ewigen Frühlings genannt. Ein Großteil der Provinz liegt auf ungefähr 2000m Höhe und ist relativ bergig, im Nordwesten gibt es richtig hohe Berge (Kawagarbo (6740m), 3 große parallel fließende Flüsse (Salween, Mekong, Yangtze) durchqueren die Provinz im Westen und es gibt ein paar sehr touristische Orte wie Dali, Lijiang, Zhongdian, einen Steinwald bei Shilin und malerische Reisterrassen irgendwo bei Honghe am Roten Fluss, die ich aber nicht ansteuerte, da ich sie entweder schon kannte oder mich nicht interessierten. Die Täler sind von Landwirtschaft geprägt und es gibt auch etwas Industrie sowie Bergbau.

Fahrrad im Flugzeug

Es gibt einige, meist nicht-europäische Airlines, die problemlos ein Fahrrad als (dann einziges)Aufgabegepäckstück akzeptieren, wenn es unter der Gewichtsgrenze bleibt und vorher angemeldet wird, in meinem Fall war es China Eastern, bei Cathay Pacific ist es auch möglich.

Infrastruktur

Es gibt große und kleine Straßen, alle meist ganz gut in Schuss, die kleinen sind in der Regel relativ schmal und wenig frequentiert, die großen haben in der Regel einen sehr breiten Standstreifen für langsame Zweiräder, Landwirtschaftsfahrzeuge und Fußgänger. Die Fahrradmitnahme in Zügen ist möglich, aber kompliziert, also verzichtete ich darauf, obwohl ich gerne bspw. bis Zhongdian(Shangri-La) gefahren wäre, das anders als bei meinem letzten Besuch mittlerweile ans Schnellbahnnetz angeschlossen ist. Durch die flächige Verbreitung von kleinen Läden und Restaurants muss niemand unterwegs verdursten oder verhungern. Wildzelten ist mehr oder weniger verboten bzw. nicht geregelt. (Ich gehe angesichts des in China beginnenden Outdoor-Booms davon aus, dass in den nächsten Jahren jede Menge Zeltplätze entstehen werden.) Hotels sind günstig, ich zahlte meist knapp 20 Euro, manchmal etwas mehr, manchmal etwas weniger, für einen Standard mit Bad und meist auch Klimaanlage.

Sonstiges

Schwierig ist es nach wie vor, in Restaurants etwas Vegetarisches zu finden, von Veganem ganz zu schweigen. Ein ziemlich optimales Gericht ist aber der beinahe überall zu bekommende Reis mit Tomaten und Ei. Das Bezahlen mit Kreditkarten ist so gut wie unmöglich, mit Bargeld wird es zunehmend schwierig, also sollten Apps wie Wechatpay oder Alipay genutzt werden. Wer auf Internetdienste bspw. von Meta oder Alphabet angewiesen sein sollte, muss entweder ein VPN nutzen oder sich eine eSim zulegen, die die Great Firewall umgeht. Sehr nützlich ist weiter irgendein Translator im Smartphone, da so gut wie niemand Englisch spricht bzw. sich traut zu sprechen. Ganz praktisch sind Offline-Karten zur Navigation.
Ich fuhr mit 35mm-Straßenbereifung, wie immer eine gute Wahl, und glücklicherweise summierte sich das Gewicht der kaum genutzten Ausrüstung (Nemo Hornet 1, ThermARest Neoair Xlite, Sea To Summit Spark 7) auf unter 1,5 kg.