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Reisebericht: Mit dem Rad über die Abruzzen an die Adria

bikepacking titelbildDie Planungssicherheit für Reisen im Jahr 2020 angesichts einer grassierenden Pandemie oszillierte um Null: So hatte ich noch im Frühsommer vor, im Herbst interkontinental zu verreisen. Plan A war der unrealistischste, Plan B sah zuerst etwas realisierbarer aus. Aber nein, schnell kristallisierte sich heraus, dass ich mich wohl in Europa umsehen musste. Ich schmiedete einen Plan C. Dieser wurde 3 Tage vor Reiseantritt obsolet, da das Ziel zum Risikogebiet erklärt wurde, und ich hatte wenig Lust auf anschließende Tests, Quarantäne etc. Also umdisponieren: Plan D.

Glücklicherweise hatte ich Freunde, die in der Nähe von Rom weilten. Ich flog also nach Italien. Mit einem Koffer. Nicht irgendeinem, sondern einem speziellen, in dem mein Rennrad nebst minimaler Ausrüstung Platz fanden. Das, was ich vorhatte, nennt sich wohl „Bikepacking“. Nein, dazu braucht es weder ein spezielles Fahrrad, noch spezielle Reifen, Fahrradkomponenten, Klamotten, Schuhe und Ausrüstung, sondern einzig ein zum Vorhaben passendes Fahrrad – in meinem Fall also ein schnelles – und auf ein absolutes Minimum reduzierte, möglichst leichte Ausrüstung und ein paar Taschen, die sich einfach am Rad befestigen lassen. Und so lässt es sich hochgradig unabhängig, aber trotzdem sportlich reisen, ohne von allzu viel unnützem Ballast ausgebremst zu werden. Kurzum, die Freude an schneller Fortbewegung steht an erster Stelle.

Selten war ich bei einer Ankunft in einem anderen Land so froh und erleichtert wie bei diesem Mal, weil ich es noch einmal rausgeschafft hatte. Das Rad wurde zusammengeschraubt und dann wurde gegessen, Rotwein getrunken und der Ausblick auf den Olivenhain genossen. Es folgten zwei Tage Anpassungstraining an löcherige italienische Straßen und an mir bis dahin unbekannte Anstiege und Abfahrten. Meine Freunde, die teilweise seit Beginn der Pandemie in Italien weilten und kaum mehr taten, als durch die Gegend zu ballern, erleichterten mir dies durch ihre Expertise ungemein.

Strasse in Italien

Dann war ich bereit, meine Tour zu starten. Ich schnallte die Taschen ans Rad und fuhr los. Ständiges Auf und Ab und 150 Kilometer später fand ich mich abends bereits mehr oder weniger vor den Abruzzen. Ich suchte nicht lange einen Schlafplatz, die erste Stelle war perfekt. Unweit der Straße, nicht einsehbar, flach, Wald und Wiese. Der nächste Tag wurde sportlicher, endlose Anstiege auf kaum befahrenen Nebenstraßen, Abfahrten auf Serpentinen und wieder Anstiege waren zu bewältigen. Die Städte, durch die ich kam, waren noch schwer vom letzten Erdbeben gezeichnet, wie beispielsweise Amatrice, unweit von L‘Aquila. Abends fand ich einen Schlafplatz unweit des Gran-Sasso-Massivs am Ufer des Lago di Campotosto.

Abend in Italien

Weiter ging es bergab, fast bis zur Adria bei Roseto. Hier fuhr es sich nicht mehr so angenehm wie in den Bergen, da in der bevölkerungsreichen Küstenebene mehr Autos unterwegs waren. Aber die Straßen waren hier deutlich besser, es gab weniger Steigungen und ich musste nicht mehr permanent den mir entgegenkommenden Straßenbelag visuell inspizieren. So fuhr ich gen Süden. Ich war wohl ganz gut in Form, da ich problemlos mit anderen Rennradlern mithalten konnte, auch mal die Führung übernahm, oder sogar einige Grüppchen überholte. Und dies trotz des Mehrgewichts durch die Ausrüstung.

Fahrrad, See und Berge

Abends wollte ich mal auf einen richtigen Zeltplatz, aber sie waren alle geschlossen. Bei einem hatte ich jedoch Glück, man ließ mich als einzigen Gast auf den leeren Platz am Meer, schloss mir ein Tor zum Strand auf, mit der Bitte, dies abends wieder zu schließen. Ich bedankte mich, baute das Zelt auf, sprang in die Fluten und genoss noch ein paar Peroni im angegliederten Restaurant, welches geöffnet war. Am nächsten Tag waren viele Wochenendradler auf der Via Adriatica unterwegs. Ich kam gut voran, verließ irgendwann aber genervt von den Autos die Hauptstraße und kreuzte auf idyllischen Landstraßen parallel im Landesinneren, bog nach Osten auf die Halbinsel Gargano ab und bei einbrechender Dunkelheit erreichte ich nach über 200 Kilometern Vieste. Ich suchte einen ziemlich überfüllten und überteuerten Zeltplatz auf, weil die Gegebenheiten zum wild zelten schlecht waren, und spazierte zum Eis essen ins mittelalterliche Städtchen.

Von nun an änderte ich den Kurs gen Westen und Süden über Manfredonia und Lucera ins Campobasso. Hier erwarteten mich wiederum leere Straßen, hügeliges Auf und Ab und ganz hübsche Landschaften. Ein paar knackige Steigungen galt es noch im Parco Regionale del Matese und Parco Nazionale d’Abruzzo Lazio e Molise zu überwinden, bevor ich mich langsam wieder meinem Startpunkt näherte. Ich passierte noch ein paar Höhenzüge von Abruzzenausläufern, fand traumhafte Zeltplätze, sah Seen, Flüsse, Wälder, Wiesen und Berge, Dörfer und Städte. Kaffee und Kuchen sorgten dafür, dass ich mich weiter zügig bewegte.

Dolce vita in Italien

Die alltägliche Routine fiel mir immer leichter: Aufstehen, einen Happen essen, losfahren bis zur ersten Bar zum zweiten Frühstück mit Kaffee und einem Stück Gebäck, weiterfahren, nach Lust und Laune an einer nie fernen Bar – nicht wie in Brandenburg – auf ein Stück Kuchen anhalten, irgendwann an einem Supermarkt oder Lädchen halten und Brot, Käse, Tomaten, Thunfisch oder ähnliches zum Abendbrot und fürs erste Frühstück kaufen, weiterfahren, und dann bei Beginn der Abenddämmerung nach einem Schlafplatz Ausschau halten. Leider waren die Tage schon relativ kurz, ansonsten hätte ich länger fahren können. Ich zeltete fast immer wild. Die Suche kostete mich hin und wieder etwas Zeit ob meiner Ansprüche, aber dafür waren die Zeltplätze dann auch meist exquisit: Ausblick, blickgeschützt, unweit der Route, ruhig, trocken, nicht zu windig und manchmal auch mit fließend Wasser. Kurzum, jede Mühe wert.

Zeltplatz mit Morgensonne

Das Wetter war mir vorwiegend wohlgesonnen, Sonne und Wolken, kalte Morgen, nicht zu viel Wind, immer um die 20 Grad. Und Regen hatte ich nur einmal, nachts einsetzend auf der Wetterseite eines Bergmassivs. Hässlicher Nieselregen vermischt mit stärkeren Schauern und vor mir lag eine serpentinenreiche Abfahrt im Nebel bzw. in der Wolke. Erst gegen Mittag raffte ich mich auf, warf den Kram ans Rad und fuhr los. Unschön, aber was blieb mir anderes übrig. Bald, im Tal lichtete sich der Grauschleier, beinahe verpasste ich die erste Bar, was traurig gewesen wäre, da so ein ordentlicher doppelter Espresso neben deliziösen Backwaren der Motivation mehr als zuträglich sind. Da aber das Wetter wechselhaft blieb, nahm ich mir mal ein Zimmer und fuhr ausnahmsweise an diesem Tag keine dreistellige Kilometerzahl ein.

Am Ende bilanzierte ich 1300 Kilometer in 9 Tagen, 20 000 Höhenmeter, kiloweise Kuchen, keine Panne und eine nachlassende Angst vor uneinsehbaren Kurven in rasanten Abfahrten. Aber vor allem fragte ich mich, warum ich nach einigen Radtouren in Skandinavien und auf den britischen Inseln in meiner Jugend, mit Freunden und unglaublich viel Gepäck, diese Art des Reisens verdrängt habe. Die Fortbewegung per Rad ist eine ziemlich angenehme und kann sportlich sein, schnell, um relativ große Landstriche zu durchstreifen, Essen muss so gut wie gar nicht mitgeschleppt werden, da man sich immer in relativer Nähe zur Zivilisation und nie in wirklicher Wildnis befindet, zumindest in Europa. Kurzum, eine nächste Tour mit Fahrrad ist bereits in der Planungsphase.

Traumhafte Strasse

Die letzten Tage entspannte ich dann noch etwas, wenn nicht die Ballerfreunde gerade zum finalen Sturm auf den Kraterrand des Vicosees über die krassestmögliche Rampe riefen. Aber auch diese Herausforderung meisterte ich. Ich blieb noch eine Nacht in Rom und fuhr mit dem Zug zurück, was mir als prinzipiell sonst immer Rucksackreisenden mit dem Schrankwandradkoffer nicht nur Vergnügen bereitete (warum gibt es keinen Fahrradtransportrucksack?).

sicher zugfahren

Und da Zürich mehr oder weniger auf dem Weg lag, besuchte ich dort noch eine Freundin. Wenige Tage später wäre auch dies mit einer anschließenden Quarantäne in der BRD verbunden gewesen, genau wie noch ein paar Tage später mein Italienaufenthalt. Kurzum, Plan D fiel in ein ziemlich knapp bemessenes pandemisches Wellental Anfang Oktober und war nicht der schlechteste.

Dank an Liz, Tom und den Raben!

 

 


3 Responses to Reisebericht: Mit dem Rad über die Abruzzen an die Adria

  1. Jens says:

    Kannst du dein Gepäck bitte nochmal in Form einer Packliste hier einstellen?
    Und hast du dabei irgendwas vermisst? Auf den Fotos wirkt dein Gepäck schon recht minimalistisch 😉
    Gruss und Ahoj

  2. Philipp says:

    Ich habe in Italien nichts vermisst außer einen Kocher. Den hatte ich aber bei meiner letzten Tour einschließlich kleiner Kartusche und Topf auch noch dabei.
    Hier ist meine Packliste:

    – Zelt (Nemo Hornet 1), Schlafsack (Western Mountaineering Highlite/Flylite), Isomatte (NeoAir XLite). Bis auf das Zeltgestänge passt dies bei mir in einen 10-12 Liter-Packsack als Lenkertasche.

    – Klamotten im Gepäck (bei Fahren in Trikot und Radhose, Helm und Sonnenbrille): zweites Trikot und Radhose, zivile Hose, leichte Regenjacke (Rab Phantom Pull-On), leichte Daunenjacke oder leicht gefütterte Weste (Arc’teryx Atom LT Vest), dünne Fleecejacke, 2 Unterhosen und T-Shirts, Socken, Armlinge, Beinlinge. Zweites Paar Schuhe (überflüssig beim Fahren mit Radschuhen, mit denen es sich auch laufen lässt (MTB-Schuhe/2-Punkt-Pedalplatten))

    Kleinkram:
    – Kocher, Topf, Besteck, Brennstoff, Wasserspeicher für’s Übernachten (Hydrapak Seeker 2L), Minimalproviant (abhängig von Einkehr- bzw. Einkaufsmöglichkeiten)
    – Flickzeug, Ersatzschlauch, Reifenheber, Werkzeug, Kettenfett (passt bei mir in einen Behälter in Fahrradflaschengröße, als solcher auch am Rahmen)
    – Elektronik (Kabel, Powerbank)
    – Hygieneartikel (Seife, Handtuch, Zahnbürste, Zahnpasta/Denttabs, Sitzcreme, Sonnencreme)
    – Bargeld, diverse Plastikkarten (Kredit, Krankenkasse, ID), Impfausweis, Buch

    Wichtig beim Packen ist, schwere Sachen entweder im oder am Rahmen, in der Arschrakete dicht am Sattel oder in den Trikottaschen zu transportieren. Abends gekauften Proviant schnallte ich meist auf die Satteltasche (Brot und Tomaten sind weniger schwer als voluminös).

  3. Almut Elster says:

    Traumhaft. Tolle Beschreibung, macht sooo viel Lust zum Nachahmen. Vielen herzlichen Dank für den Bericht, damit bestimmt so mancher wieder besten Stoff zum Träumen hat.

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