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Es geht heimwärts – in 30 Stunden bis zum Flughafen. Indien Teil 3

Auf die Kuh gekommen. Alle Bilder: privatDer dritte und letzte Teil von Engins eindrücklicher Indienreise beginnt mit einem mächtigen Geschäftsgespräch, handelt von den Tücken einer Taxifahrt durch Mumbai und endet beim heimischen Arzt und einem Besuch beim Gesundheitsamt.

Eines Morgens, kurz nach Sonnenaufgang, sind wir auf dem Weg zum Klettergebiet namens „Sunset“. In der noch kühlen Morgenluft wandere ich umher und erkundige die karge felsenreiche Gegend.

Dabei sehe ich einen Mann, wie er mit einem mit Wasser gefüllten Messbecher ebenso umherläuft. Diese kuriose Situation mit Menschen und Messbechern mitten in der Landschaft ist mir schon häufiger aufgefallen. Ich exploriere so weiter und so fort. Als ich auf einen Trampelpfad trete, höre ich eine Männerstimme im regen Geplauder. Ich schaue genauer hin, denn die Situation ist kurios:

Da hockt jemand, nur wenige Meter von mir entfernt vor einem Busch auf dem Boden. An sein Ohr hält er ein Handy und telefoniert heftig diskutierend. Es ist der Mann von vorhin. Vor ihm platziert steht der Messbecher. Unter ihm türmt sich das beeindruckende Produkt seines Morgengeschäfts.

Für ihn scheint es völlig unproblematisch zu sein, dass ich unfreiwillig Zeuge seines Geschäftsgesprächs werde. Ich dagegen bin verstört und so brauche ich eine Sekunde, um die Situation zu begreifen. Der Mann macht einfach weiter. Ich bin irritiert und gehe weg.

Hallo Murphy!
Die Rückreise ist weniger angenehm als gehofft. Wir haben sie einfach zu spät geplant und gebucht. Wie sich herausstellt ist ein Großteil der preislich günstigeren Fahrtmöglichkeiten bereits belegt. Was bleibt ist eine unerwartet teure Fahrt im Zug.

Insgesamt benötigen wir für die 850 km ein Boot, fünf Stunden Wartezeit, eine Rickscha, eine Zugfahrt im Schlafwagen, vier Stunden Aufenthalt am Bahnsteig inmitten der Nacht und eine nochmals dreizehnstündige Zugfahrt. Daran schließt sich eine gefährlich rabiate Taxifahrt durch den Abendstauverkehr Mumbais zum Flughafen an. An diesem warten wir vier weitere Stunden.

In meiner Vorstellung gibt es kaum etwas Schlimmeres als eine heftige Durchfallattacke und keine andere Lösung des Problems als die auf einer öffentlichen Toilette in Indien völlig entkräftet meinem Geschäft nachgeben zu müssen. Gegen Naturgewalten sind wir klein und müssen uns beugen. Wir haben gerade ausgecheckt und müssen noch ein paar Stunden warten, bis uns unsere Rickscha zum weit entfernten Bahnhof fährt.

Murphy liest meine Gedanken, denn es dauert nicht lange und dann ist es soweit: Ein Unheil kündigt sich in meiner Magen- und Darmgegend an. Das sich in wenigen Minuten mit größter Sicherheit abspielende Szenario lässt sich bereits eindeutig in meiner Vorstellung skizzieren.

Natürlich bin ich im Dunkel der Nacht in den Gassen von Hampi unterwegs. Ich ergebe mich also meinem Schicksal, denn es gibt keinen anderen Ausweg. Bevor der doch weitaus schlimmere Fall der Erleichterung ohne Toilette eintritt suche ich ein öffentliches Klo. Nervös erreiche ich die Batterie der öffentlichen Toiletten und trete verklemmt ein. Drinnen riecht es nach Reinigungsmitteln und alles ist blitzblank und sehr sauber. Den Rest der Geschichte überlasse ich Eurer Phantasie.

In Deutschland angekommen melden wir uns erst einmal bei unseren Arbeitgebern krank und gehen zum Arzt. Der verlangt nach einer speziellen Postzustellung. Es dauert nicht lange, bis wir den Befund bekommen sowie einen Anruf vom Gesundheitsamt. In uns wohnen E-Coli-Bakterien. Das sei aber nicht schlimm, nur meldepflichtig und führe zu einem Gespräch mit dem Gesundheitsamt. Nach einer gewissen Zeitspanne sind wir den unerwünschten  Besuch auch wieder los. Guten Appetit!

Zugfahren mit Blick auf den Regen
Zugfahren durch Indien ist spannend und empfehlenswert. Es gibt unterschiedliche Klassen. Wir haben im klimatisierten Schlafwagon Liegen gebucht. Die Toiletten sind die französischen Hock-Klos. Aus meiner Sicht ist das auch die hygienisch wünschenswertere Variante.

Bei jeder Geschwindigkeit kann man die Wagontüren zur vorbeirasenden Außenwelt öffnen und seine Nase in den Wind halten. Dies ist gefährlich, aber auch sehr schön. Am Vormittag steigen an jedem Bahnhof unzählige Verkäufer ein, laufen durch die Abteile und bieten laut rufend gesüßten Tee und verschiedenste Snacks an. Das Angebot umfasst auch warme Mahlzeiten, wobei ich bei diesen nur zu den frisch frittierten raten kann. Diese werden oft direkt auf dem Bahnsteig zubereitet.

Oft hält der Zug für längere Zeit an den Bahnhöfen, sodass man Gelegenheit hat, auszusteigen und sich zu versorgen. Sinnvoller ist es jedoch, sich bereits vor der Zugfahrt mit Proviant einzudecken, um bei Heißhunger nicht mit eingeschränktem Beurteilungsvermögen bei sonst als zweifelhaft einzustufenden Speisen schwach zu werden.

Da wir ja von einem E-Coli-Bakterium bewohnt sind, haben wir insbesondere Zwieback, ein paar Gurken und Tomaten und Chips im Gepäck. Es ist wirklich nicht leicht, sich in Indien – in einem kleinen Dorf – ein appetitanregendes Proviantpaket zu schnüren.

Die Zugfahrt lädt zum Schlafen, Lesen und zum Sichten der Fotos ein. Bei voller Fahrt lassen sich schöne Bilder durch die geöffneten Türen schießen und man hat Zeit, all seine Urlaubserlebnisse zu rekapitulieren.

Wir hatten über Wochen nur heißes Wetter und selten vereinzelte Wolken erlebt. Während dieser Gedanken wirkt das Wetter draußen mit einem Mal grau. Ich frage mich ob es wohl Regnen wird. Also gehe ich aus dem Abteil und öffne die Wagontüre zur Außenwelt. Schon bald fallen die ersten dicken Regentropfen. Nach und nach trommelt der Regen seinen Schlag auf die Fenster und einen mächtigen Rhythmus aufs Land.

Kühe wirken missmutig in der Nässe und wandern über die Felder. Menschen halten sich Zeitungen oder Taschen auf den Kopf und wirken genauso. Wir kauern uns vor die Fenster und genießen den hereinbrechenden Abend. Meine Freundin packt leichte Übelkeit. Dem Regen ist das egal, er trommelt einfach weiter und ich wundere mich, ob das wohl schon der Monsun ist?

Taxifahrt zum Flughafen: Bin ich bereit für indisches Handgemenge?
Kurz vor unserer Ankunft in Mumbai frage ich einen Mitreisenden, einen indischen Arzt, mit dem ich mich während der Fahrt schon lange und gut unterhalten hatte, an welchem Bahnhof wir am besten aussteigen sollen. Ein Anderer hört mit, mischt sich ein und rät zu einem bestimmten, an dem wir auch kurz darauf einfahren. Wir folgen dem Rat, denn angeblich sei der Weg von diesem Bahnhof zum Flughafen kürzer.

Der Bahnhofsvorplatz ist ausgebucht, wie ein Überraschungs-Revival-Konzert von Elvis Presley. Wir kraulen uns durchs Gewühl bis zu den Taxen. Es ist schwierig bzw. unmöglich mit den Taxifahrern trotz der vermittelnden Hilfe unseres Ratgebers einen guten Preis zu bekommen. Die Taxi-Fahrer verweisen auf die gegenwärtig herrschende Rush Hour.

Wir beugen uns diesem Argument und schenken unser Vertrauen einem mächtig vollbärtigen Fahrer mit noch mächtigeren Turban auf dem Kopf. Ich habe ein mulmiges Gefühl. Als wir losfahren beginnt unser Fahrer zu telefonieren. Zwei Straßen weiter unterbricht dieser die Fahrt spontan. Ein weiterer Mann steigt ein, die Fahrt geht weiter. Dann sagt der Vollbärtige, ich möge ihm den ausgehandelten Fahrtpreis auf der Stelle geben, um dann aber von dem anderen Mann in seinem Wagen zum Flughafen chauffiert zu werden.

Er erklärt, dass dessen Wagen gleich um die Ecke geparkt sei. Mein mulmiges Gefühl wächst weiter. Ich winke ab, sage, ich sei nicht einverstanden mit dem Verlauf der Dinge. In meinen Gedanken wäge ich ab, ob ich wohl in der Lage wäre, es mit den beiden Herren in einem Kampf aufzunehmen. Ich plane meine Strategie für ein mögliches Handgemenge in einer Seitengasse.

Derweil entfacht sich eine streitgeladene Verhandlung, aber ich bleibe hart. Ob ich kein Vertrauen hätte? Nein, nicht blind schenke ich Vertrauen, in einer dunklen Seitengasse, unbekannten Menschen gegenüber, bei Bezahlung vor Lieferung der abgemachten Dienstleistung. Und vor allem nicht mit meinem allerletzten Geld. Der Fahrer wird wütend und zeigt offen seine Enttäuschung ob meiner nicht vorhandenen Menschlichkeit.

Ich sei ein böser Mensch. Der andere Mann verschwindet wieder und der Mann mit Turban setzt seine Fahrt mit uns fort. Es ist Wochenende und die Stadt ist überall voll. Die Gehwege sind oft voller Menschen, denn an vielen Straßenecken sind kleine Festivitäten installiert. Manche Straßen sind voller Fahrräder und aller erdenklichen für Straßen erfundene Kraftfahrzeuge. Mit dem Fortschreiten der Fahrt verflüchtigt sich die geladene Stimmung.

Aus schönen kleinen Straßen und Gassen in schönen Vierteln werden große Straßen in weniger schönen und anonymeren Gegenden. Die Anonymität wächst mit der Straßenbreite und der Spurenzahl, die Gegenden werden industrieller. Aus Hauptstraßen werden Schnellstraßen und aus diesen werden Autobahnen. Die Autobahnen verwandeln sich über Umwege in Startbahnen, diese führen in Luftbahnen, diese wiederum auf Landebahnen und das ganze Straßenspiel geht wieder Rückwärts. Dann sind wir daheim. Was geht mir jetzt wohl durch den Kopf, wenn ich an Indien denke? Es war schön, anstrengend und aufregend. Wir haben Hunger. Wie wäre es mit essen gehen? Indisch??

Was bisher geschah…

Teil 1 und wie die Reise begann gibt es hier.


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