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Fischbrötchen mit Chef oder Paddeln Rügen halbrund

einer geht noch...

Das erste Mal im Seekayak! Ich bin ganz aufgeregt und wedel mit dem Paddel wie ein junger Hund seinen Schwanz. „Nicht so schnell!“ werde ich ermahnt. Der Chef sitzt mir im Nacken und langt ordentlich zu. Davonpaddeln geht aber nicht, denn wir sitzen in einem Boot.

Im Schweiße unseres Angesichts hatten wir es endlich geschafft, dass sich sträubende russische Gestängeboot zu seiner schnittigen Größe zu entfalten, und beschließen zunächst eine Kaperfahrt in den Stralsunder Hafen, um unsere durstigen Seeräuberkehlen zu stillen. Freiwillig wird uns von hohen Fischkutterplanken Bier herabgelassen.

Später ziehen wir, homogenisiert durch Störtebekerbräu, gleichrhythmisch die Doppelpaddel durchs Wasser und staunen wie schnell sich das Faltboot bewegt! Fast schwerelos schneidet es die klaren Ostwindwellen und zieht bugplätschernd seine Bahn durchs milde Spätsommerblau. Wunderbar!

Das sind die ersten Seemeilen auf dem Strelasund. Wir sind fasziniert der Dimension und fühlen uns im Rausch als Teil der Elemente. Die alte Hansestadtsilhouette mit moderner Brücke verblasst bereits hinter uns. Rügen zur rechten, Hiddensee voraus. Wir biegen nach Osten ab und verbringen, ungeduldig der nahen Ostsee, eine Zeltnacht im alten Lotsenhafen Barhöft.

Raus aufs Meer! Magisch die Weite, faszinierend die Stille und das Schweben über tiefklarem Grund. Windstille! Wir gleiten über den Spiegel des Himmels. Vor der Unendlichkeit eine Schar hilfloser Segel, schlaff dümpelnd in der Dünung. Stolz ziehen wir an den Yachten vorbei, bis der hungrige Chef vom Klassenkampf ablenkt und uns mit sicherem Fischbrötcheninstinkt an den Strand von Vitte auf Hiddensee steuert.

Bismarkhering und Matjes, Matjeshering und Bismark, neidische Möwen und Bier aus der Hafenkneipe. Der Chef zahlt die Fischbrötchen mit Chefbrötchen und weiter geht’s auf geglätteter See, um den Dornbusch – Hiddensee´s Nordkap – Richtung Arkona auf Rügen.

Die resignierenden Yachten – inzwischen segellos – motoren in den nächsten Hafen. Wir aber nutzen die Gunst der Stunde und ziehen – etwas erschrocken der schwindenden Ufer und bleiernen Tiefe – weiter unsere Bahn. Am Ende des Tages erreichen wir mit Seefahrererleichterung das ferne Ufer einer Steilküstenbucht auf Rügen.

Endlich Land unter den Füßen! Aber bevor wir auf dem schmalen Sandstrand unser Zwei-Zelte-Lager errichten, genehmigen wir uns eine doppelte Ration in Betrachtung des Sonnenunterganges. Später genießen wir die wohlige Wärme des Lagerfeuers und zuletzt die Geborgenheit der Zelte, Schlafsäcke und Isomatten in der Kühle des auffrischenden Nachtwindes.

Am Morgen hat ein munterer Nordwind bereits eine stattliche Brandung entstehen lassen. Etwas besorgt besprechen wir die Strategie des Ablandens. Mit dem Bug stemmen wir uns vom Strand in die See, um, sobald das Wasser trägt, mit Libellenfrequenz und Spritzschürze bis zum Kinn, durch die schäumenden Brandungswellen zu paddeln.

In sicherem Abstand von Ufer und Untiefen freunden wir uns schnell an mit den weiten Wogen und juchzen wie Kinder, wenn uns die von hinten kommenden Wasserberge  immer wieder Momente lang mit Surfgeschwindigkeit vor sich her tragen. Da fiel es schwer hinterm Kap Arkona unseren fliegenden Holländerkurs zu verlassen, um, nach kurzem Räuchermakrelenstop im Strandfischerdorf Vitt, im Windschatten des Hochufers, brav weiter nach Süden zu paddeln.

So folgen wir der Schaabe – einer flachen Strandbuchtkrümmung, allmählich nach Osten. Voraus, schon von weitem zu sehen, der markante Bergrücken Jasmunds mit Rügens höchster Erhebung – dem Piekberg (161m). Auf der Rückseite dieser Berge, dort wo das Land plötzlich schroff zum Meer abfällt, wartet auf seinen Kreidefelsen bereits Caspar-David Friedrich. Wir verabreden uns für den nächsten Tag, denn das Logbuch zeigt schon über 40 Kilometer und so landen wir an in Lohme, denn hier soll ein gutes Fischrestaurant sein.

Toll, der in den Yachthafen integrierte Wasserwanderrastplatz mit Zeltplatz und Meerblick, steil der Landgang treppauf zum Gastmahl des Meeres, und klärend am Morgen das Frühstück vor weitem Horizont. Lohme lohmt sich!

Wir sitzen kaum im Boot, da wachsen aus dem Meer, kreideweiß gleißend in der Sonne, die erhabenen Felsen des Königsstuhls. Wir ergeben uns atemberaubt der Größe und paddeln eine Ehrenpirouette, um alle Blickwinkel zu genießen. Mit dem Fernglas erkenne ich, auf der Touristenkanzel 118 Meter über uns, Caspar-David, winkend an der Brüstung. Per Mobilfunk verabreden wir ein Fotoshooting vom Vorbeifahren der Argonauten. Möglichst stilvoll fürs Teleobjektiv ziehen wir so weiter unsere Bahn zwischen Horizont und Steilufer.

Bald schon weichen die windschützenden Felsen und aus Süd weht uns Rückenwindverwöhnten eine herausfordernde Brise entgegen. Steiles Wasser stellt sich uns entgegen. Wir aber begegnen den, aus unserer Perspektive, schulterhohen Wellen mit gestähltem Gleichschlag und durchteilen das stahlblaue Wasser stolz gischtsprühend.

Mit Synchronschwimmereleganz und Molenapplaus umrunden wir endlich den Sassnitzer Leuchtturm und laufen zwischen Yachten, tönenden Ausflugsschiffen und Fischbrötchenkuttern in den einst größten DDR-Fischereihafen ein.

Etwas schwermütig sehe ich uns zu, wie wir auf gepflastertem Kai unsere Seekayak-Schönheitskönigin wie einen gestrandeten Wal ausweiden und in seine Einzelteile zerlegen. Schließlich, im Trubel des Hafens ein letztes Bier mit Fischbrötchen, bevor ein verabredetes Auto uns Schaumgeborene ins zivilisierte Landleben zurückholt.


6 Responses to Fischbrötchen mit Chef oder Paddeln Rügen halbrund

  1. Hans Scholze Hans says:

    Es leben die Argonauten mit ihrem pfeilschnellen Kajak!!!!

  2. mashenka says:

    das ist kein reisebericht. DAS IST POESIE.

    saustark.

  3. Andreas Hille andreas says:

    Schön war es. Und wieder schön geschrieben aber du alter Flunkerer, die zweite Runde in Vitte hast Du bezahlt, von wegen Chefbrötchen. :-)

  4. Joscha Krug says:

    Also für mich als Nicht-Outdoorer und was das paddeln betrifft nur Müritz-erfahrener wäre das sicher nochmal eine ganz andere Herausforderung, der ich mich ohne Übung nicht zuwenden würde. Aber Lust macht der Bericht auf alle Fälle! Genial!

  5. jan ho says:

    Ach Jungs, sowas macht auch nur Ihr. Wieder ein Genuss über Deine Zeilen zu fliegen, Matt. Vielen Dank

  6. Björn says:

    Das Colorado war auch mit!!

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