Und täglich grüßt das Murmeltier – im ältesten Nationalpark Frankreichs unterwegs

Bei dir pfeift´s wohl! Unzählige Alpenmurmeltiere begrüßten uns bei der 5-tätigen Hüttentour rund um das Vanoise-Massiv. Das schrille Pfeifen, mit dem die Tiere ihre Familiengruppe warnen, war wirklich oft zu hören. Die Einstiege zu ihren Bauten waren manchmal direkt am Wanderweg – optimale Bedingungen, die eiszeitlichen Nagetiere zu beobachten.

1963 wurde der Nationalpark Vanoise („Parc national de la Vanoise“) in den Grajischen Alpen gründet. Namensgeber ist das Gletscherplateau, das zwischen den Viertausendern der Mont-Blanc-Gruppe im französischen Teil der Westalpen in Savoyen, Region Rhône-Alpes, liegt. Geschützt werden sollte die unberührte Hochgebirgswelt im inneren des Parks und der Alpensteinbock, der vom Aussterben bedroht war.

Ob wir bei unserer Tour auf den gehörnten Superkletterer treffen werden?

Die „Tour de Glaciers de la Vanoise“

Ende Juni 2023 starteten mein Mann und ich die rund 60 km lange Wanderung rund um das Gletschermassiv. Weiße Gipfelketten, grüne Hochplateaus und karge Felslandschaften prägen die Landschaft. Ausgangspunkt ist der kleine Skiort Aussois, wo wir uns zwei Nächte auf dem Zeltplatz bei traumhafter Aussicht akklimatisiert hatten. Der erste Tag ist ein gemütlicher: Am frühen Nachmittag ging es mit der Sesselbahn bis zur Mittelstation. Genau dort werden wir in vier Tagen wieder stehen! Wie es uns bis dahin wohl ergehen wird?

Nach einem kurzen Stück treffen wir auf den Wanderweg, der uns in einer Art Hochtal bis zur ersten Hütte, dem Refuge du Fond d´Aussois (2.346 m), führt. Üppiges Grün, farbenfrohe Wildpflanzen und sprudelnde Bergbäche begleiteten uns. Auf der Terrasse die Sonne bis zum letzten Strahl ausgekostet – und dann wird es sofort kalt. Schnell rein! Es war eh nicht mehr lange bis zum Essen hin. Drei Gänge, ein großer Tisch für alle – Belgier, Franzosen und wir Deutsche ratschten ausgiebig. Toll, wenn alle Englisch sprechen!

Der Mont Blanc am Horizont

Der Wecker bimmelt uns am nächsten Morgen früh aus den Schlafkojen. Kurz nach 7 Uhr marschieren wir los, es steht ein langer Tag bevor. Morgensportlich ist gleich was geboten: Der Col d´Aussois mit 2.910 m wartet – und bevor die Aussicht dort oben zu genießen ist, wollen diverse Anstiege erklommen und Schneefelder durchquert werden. Aber nach einigem Schweißausbrüchen und Traubenzuckern ist es soweit: Ahhh, ohhh! Die Grand Casse, mit 3.855 m der höchste Berg im Vanoise Massive, erscheint im Blickfeld. Typisch ist der deutliche Kamm. Ganz zart erhebt sich nordwestlich davon der Mont Blanc. Besser geht Panorama wohl nicht!

Auf Aufstieg folgt Abstieg, und so laufen und rutschen wir durch ein langes Schneefeld, kraxeln über Steinquader und durchwaten schlammiges Gelände. Nächster Haltepunkt: Ein wild gewordener Bergbach, reichlich mit Schmelzwasser gefüllt, ist zu queren. Die Landkarte behauptet, dort sei eine Brücke. Sie hat sich geirrt! Na gut, Schuhe aus und barfuß durchgewatet. Die Strömung ist stark, der Fuß muss im eiskalten Wasser entschieden aufgesetzt werden. Im nächsten Wegabschnitt ist die Wegführung nicht eindeutig, den Einstieg für den in der Karte eingezeichneten Höhenweg finden wir nicht. Also weiter absteigen – die Laune im Wanderteam sinkt und sinkt. Die weiten Blicke ins langgestreckte Tal von Pralognan-la-Vanoise können allerdings Abhilfe schaffen. Ebenso wie die beeindruckende Szenerie vom Eis und Schnee der Gletscherwände. Schließlich wartet die letzte Herausforderung des Tages: Der Aufstieg zum Refuge de la Valette auf 2.588 m.

Mit bereits über 1.000 Höhenmetern im Aufstieg und viel Schneegeschlitter in den Beinen kämpfe ich mit diesen letzten 400 m ordentlich.  Oben wartet eine Belohnung: Traumhaft gelegen, von der Abendsonne beschienen, die drei Hüttchen von de la Valette. Natürlich turnen die Murmeltiere um die Hütte herum, sie pfeifen schon gar nicht mehr. Eine Gämse quert das Gelände. Die Grand Casse ist deutlich näher gerückt. Die Sonne taucht die Kulisse in ein warmes Orange. Ein Traumabend.

Beim Abendessen gibt der Hüttenwirt den morgigen Wetterbericht bekannt – selbst schauen ist nicht, kein Internetempfang. Mir gefällt nicht ganz, was ich höre: Gewitter sind ab dem frühen Nachmittag zu erwarten. 13 km liegen zwischen hier und der nächsten Hütte „Col da la Vanoise“, 1.180 Höhenmeter hinunter, 1.100 Höhenmeter hinauf. Das wird knapp. Also ein sehr früher Start!

Vom Gewitter erwischt

Der Wirt warnt außerdem vor einem steilen Schneefeld, und so beginnt der nächste Tag gleich mit einem Umweg. Aber sicher ist sicher! Beim vormittäglichen Abstieg warten einige versicherte Stellen auf uns, die alle mit etwas Klettererfahrung und Trittsicherheit gut passierbar sind. Schöne Ausblicke runter zur Nationalparkgemeinde Pralognan-la-Vanoise. Eine aussichtsreiche Pause auf dem Col du Grand Marchet (2.490 m), bevor der Weg durch ein steiles Schneefeld hinab führt – eine Umgehung ist nicht möglich, also hochkonzentriert durch! Die Knie sind wenig erfreut vom dann folgenden langen Abstieg über Stein und Fels, aber es hilft nichts. Besonders steile Stellen sind versichert. Schließlich ist der Wendepunkt erreicht, von nun an geht es wieder bergauf in Richtung Refuge Col de la Vanoise, am Fuß der Gand Casse. Jedoch beginnt nun der Wettlauf mit den dunklen Wolken, die sich von Westen her bedrohlich auftürmen. Wir ziehen das Tempo an, das lauter werdende Donnergrollen ist ein guter Wadenbeißer. Ungefähr eine Stunde ist es noch bis zur Hütte. Herrje, das Gewitter kommt zu früh! Es ist gerade erst Mittagszeit. Wir müssen uns eingestehen, dass wir es nicht schaffen bis zum Refuge. Der Regen wird immer stärker, unter einem Felsvorsprung finden wir Deckung. Donner und Blitz mal von da, mal von dort. Hm, was aus Metall haben wir eigentlich im Rucksack? Wanderstöcke, Regenschirm. Besser weit weglegen. Wir hocken bewegungslos am Boden, kein Gewitterende in Sicht. Mir wird richtig kalt. Nach langen 45 min scheint der Donner sich zu entfernen, die Abstände zu den Blitzen wird größer. Können wir es wagen? In einer Art „Felswand-Hopping“ bewältigen wir den weiteren Anstieg, bis wir an den Lac des Assiettes kommen. Allerdings ist der See völlig ausgetrocknet. Donner und Blitz sind wieder näher gerückt, und wir flitzen die letzten paar Hundert Meter zur Hütte. Selten so froh gewesen, ein sicheres Dach über dem Kopf zu haben!

Die Hütte erinnert an eine moderne Jugendherberge – 2013 neu errichtet bietet sie auf 2.518 m 100 Schlafplätze. Von hier aus starten die, die die Gran Casse besteigen wollen. Ein geheizter Trockenraum, ein weitläufiger Essenraum mit großen Fenstern. Ein heißer Tee, herrlich. Das belgische Paar ist auch hier, wir quatschen ausgiebig. Dann Aufregung im Saal – Ferngläser werden gezückt. An einer nah gelegenen Felswand sind zwei stattliche Steinböcke zu beobachten.

Im Nebel unterwegs

Col da la Vanoise ist der nördlichste Punkt der Route, von nun an treten wir sozusagen den Rückweg an. Die Farbe des nächsten Tages ist: grau. Wir haben Glück, während der ersten Wanderstunde lichtet sich die dichte Wolkendecke hin und wieder. Wir laufen auf dem GR 55 über das Hochplateau, an mehreren Gletscherseen vorbei. Die Murmeltiere pfeifen wieder, scheu sind sie gar nicht.

Ein grandioser Blick ins Tal Vallon de la Leisse, nördlich davon erhebt sich die Gran Casse. Der Gipfel ist in Wolken gehüllt. Die Route führt nun auf dem GR 5 südwärts. Nebelschwaden ziehen auf. Ich freue mich über die roten Fähnchen, die den Weg markieren – damit fällt die Orientierung leichter. Wir queren Geröllfelder, Schneefelder, pralle Bergbäche – zum Glück mit Brücken – und ahnen die Schönheit der Landschaft. Auch nur erahnen können wir den Gletscher oberhalb des Weges. Mal ist es trocken, mal nieselt, mal regnet es. Wir reden wenig, konzentrieren uns stets auf den nächsten Schritt. Fast ein meditativer Tag. Am Nachmittag wird der Nebel immer dichter, man sieht kaum mehr die Hand vor Augen. Es ist nicht mehr zu erkennen, wie abschüssig die Talseite des Weges ist und wie weit runter es geht – das verunsichert mich. Die letzte Stunde bis zum Refuge L´Arport ist zäh. Welch Erleichterung, als die Hütte endlich auftaucht.

Im Trockenraum ist´s wie in einer Dampfsauna – und überall hängen bunte Regenschutz-Kleidungsstücke von der Decke. Irgendwo finden wir Platz für unsere. Die Hütte ist sehr modern, 2013 wurde eine große Renovierung abgeschlossen. Die Panoramafenster lassen auf einen fantastischen Ausblick schließen – heute kann man genau einen Meter ins dichte Grau schauen. Im Gastraum werden heiße Getränke geschlürft, die Wetterlage besprochen, Brett- und Kartenspiele gespielt – ein geselliges Miteinander! Das Abendessen gleicht einer Performance, jeder Gang wird ausführlich vorgestellt und beklatscht.

Der fünfte Tag – den Kreis geschlossen

Die Nacht im Lager ist unruhig – manche kommen spät, durchaus alkoholisiert, anderen starten sehr früh und wenig leise. Der Blick am Morgen aus dem Fenster motiviert mich nicht, die warme Schlafstätte zu verlassen – genauso grau wie gestern. Es geht also weiter, wie es gestern aufgehört hat – durch dichten Nebel. Wir laufen auf den Spuren bzw. den reichhaltigen Hinterlassenschaften in Form von Köttel einer Schafherde, die vor nicht allzu langer Zeit auf dem Wanderweg unterwegs war. Tja, schlimmer geht immer! Mein Herz macht einen Sprung, als es stellenweise lichter wird und wieder erkennbar ist, wo wir uns befinden. Die Wolkendecke reißt sogar etwas auf, und ein wenig Himmelsblau scheint durch. Auf guten Wegen, mal auf, mal ab, mal mit mehr Sicht, mal mit weniger stapfen wir durch den Tag. Noch ein wilder Bach ohne Brücke will gequert werden – nasse Füße, na und! Wir biegen um ein Eck und – im Tal taucht Aussois, unser Ausgangspunkt, auf! Es dauert noch ein wenig, bis wir wieder an der Mittelstation der Seilbahn angekommen sind. Dort verspeisen wir die restlichen Müsliriegel und Nüsse, die nun einmal rund ums Vanoise-Massiv gewandert sind. Da die Seilbahn heute nicht in Betrieb ist, laufen wir die letzten Kilometer auf einem breiten Wirtschaftsweg durch bunt blühende Bergwiesen bis zur Talstation. Und wie immer am Ende eine Tour: Froh, es geschafft zu haben, und gleichzeitig traurig, die Bergwelt wieder zu verlassen. Trotz der Wetterbedingungen war es eine traumhafte Tour!

INFO

Anreise:

  • Mit der Bahn: grundsätzlich möglich, bis Modane. Von dort fährt ein Bus bis Aussois.
  • Mit dem Auto: Kostenfreie Parkmöglichkeiten bei der Sesselbahn „Grand Jeu“

Kartenmaterial:

  • Faltkarte Editions Didier Richard 04 Vanoise / Beaufortain Wanderkarte 1:60.000

Campingplatz:

Campingplatz Municipal la Buidonnière in Aussois: www.camping-aussois.com/en/

Hütten:

Refuge Fond d´Aussois: https://refugefonddaussois.ffcam.fr/

Refuge de la Valette: https://refuge-valette.vanoise.com/

Refuge Col de la Vanoise: https://refugecoldelavanoise.ffcam.fr

Refuge L´Arport:  https://refuge-arpont.vanoise.com/

Ausrüstungstipp:

  • Treckingstöcke
  • je nach Schneelage sind Grödel nützlich
  • ideal ist ein GPS-Gerät
  • Fernglas

Wetterbericht: auf den Hütten erfragen, meist keine Internetverbindung unterwegs

Sonstiges:

  • Buchung der Hütten vorher per Email dringend zu empfehlen
  • mit DAV-Mitgliedsausweis (Dt. Alpenverein) ist die Übernachtung in den nicht-privaten Hütten vergünstigt