Eine weitere Reise in bekannte und unbekannte Gebirge Chinas

Die Luft ist dünn auf dem – immerhin – zwölfthöchsten Airport der Welt namens Yushu-Batang, 3890 Meter über dem Meeresspiegel. Die Nachmittagssonne schien in klarer, kühler Luft und ich musste etwas mehr als üblich Atmen. Begonnen hatte meine Reise zwei Tage zuvor mit einem Flug von Frankfurt nach Guangzhou. Dort früh morgens landend hatte ich den Tag für die Besichtigung dieser mir noch unbekannten Metropole genutzt, bevor es nach Xining (Qinghai) weiterging, ich dort eine Nacht verbrachte und dann final nach Yushu weiterflog. Ich wählte das Flugzeug für diese letzte Strecke, weil ich sie bereits einmal mit dem Bus in 14 Stunden zurückgelegt hatte und ich mir die nervenaufreibende Fahrt, durch allerdings faszinierende Landschaften, diesmal sparen wollte.

Akklimatisierung und erste Tour

Mit dem stromgetriebenen Bus begab ich mich vom Flugplatz in die Stadt. Etwas niedriger als der Airport auf ungefähr 3500m Höhe gelegen hatte sich der Ort bereits bei einer vorherigen Reise als ganz guter Platz zum Akklimatisieren für Touren in die Bergwelt des tibetischen Plateaus bewährt(das Plateau erstreckt sich über die Grenzen der Provinz Xizang(Tibet) hinaus nach Qinghai, Xinjiang, Sichuan und Yunnan). Yushu wurde bei einem Erdbeben 2010 beinahe komplett zerstört und danach neu erbaut. Nein, nicht (nur) mit massiven Betonklötzen, sondern gerade im Gebiet der Altstadt wurde sich an traditionell tibetischer Architektur, auch bei der Wahl des Materials, orientiert. Ich suchte mein Quartier auf und begann mit längeren und kürzeren Wanderungen, hinauf zum Kloster, durch das Örtchen und seine Umgebung. Höhepunkt meines Aufenthaltes in Yushu war ohne Frage ein tibetisches Tanz- und Musikfestival, vor allem wegen eines grandiosen Feuerwerks.

Da ich keine passenden Kartuschen auftreiben konnte brauchte ich Kocherbenzin für die kommenden Touren. Prompt (und erfahrungsgemäß) weigerte man sich an Tankstellen mir dies zu verkaufen, mit dem Argument, dass dies verboten wäre. Also blieb mir nichts anderes übrig als mich in die nächste Polizeistation zu begeben. Dort brachte ich mein Anliegen mit Händen, Füßen, Translator, und auch mittels des mitgebrachten Kochers vor, diverses staunendes und neugieriges Personal wurde involviert, und irgendwann saß ich in einem Streifenwagen auf dem Weg zur nächsten Tankstelle und erhielt mein Benzin. Interessant war, dass die staatlichen Organe nichts von einer Regel oder eines Verbots hinsichtlich des Benzinverkaufs wussten.

Nach drei Tagen informierte mich das Pulsoximeter über eine gelungene Akklimatisierung, ich nahm zwar mal wieder Diamox, aber ob es geholfen hat oder nicht, bleibt unklar. Zumindest hat es nicht geschadet. Ich nahm also einen Kleinbus nach Zhiduo. Beim Passieren des Ortes wurde ich von einem jungen Polizisten, in zivil und mutmaßlich in seiner Freizeit, da er in Begleitung seiner Frau war, angehalten und nach meiner Registrierung gefragt. Die hatte ich nicht, da ja gerade erst angekommen und auf der Reise in mein erstes Zielgebiet befindend. In einem Restaurant wurde, nach Herbeirufen des Vorgesetzten, der Pflicht Genüge getan, ich wurde auf die Gefahr die von Bären ausging (Waaaas?) hingewiesen und anschließend vom Vorgesetzten noch etwa 20 Kilometer weit bis zu einer Kreuzung gefahren, wo selbstverständlich auch wieder einige Selfies mit mir gemacht wurden. Kurzum, der erste Schreck durch den unfreiwilligen Kontakt mit den staatlichen Organen in Form eines übereifrigen jungen Polizisten wich der Erkenntnis ausgesprochener Hilfsbereitschaft.

Der Verkehr auf der Straße, die zu einer Schotterpiste wurde, hielt sich arg in Grenzen. Ich wurde von Einheimischen mitgenommen, und dann von einem Touristen aus Lanzhou, der wie erstaunlich viele Chinesen der Mittelschicht wohl das erste Mal in der mehrtausendjährigen Geschichte ihres Landes die Möglichkeit, Zeit und Mittel hatten, ihr Land individualtouristisch zu bereisen. Selbstverständlich geschah dies oft in hochmodernen, oftmals allradgetriebenen Elektroautos oder Wohnmobilen. Der Tag war mittlerweile etwas fortgeschritten und mein Fahrer wollte von der Hauptstraße vor meinem geplanten Startpunkt abbiegen und einen Übernachtungsplatz suchen. Kurzentschlossen fuhr ich noch ein Stückchen mit ihm mit, ließ mich an einem Flusslauf hinauswerfen, und er fuhr noch etwas weiter. Ich schlug mein Zelt unweit des Ufers auf, kochte und genoss neben der Ruhe die Landschaft. Am nächsten Morgen, just als ich zusammengepackt hatte und im Begriff war, mich wieder auf die Hauptstraße zu begeben, hupte mein Fahrer vom Vortag, lud mich ein und brachte mich bis zu meinem Startpunkt, einer Brücke unweit eines Passes. Ich wählte das rechte Flussufer und begann meine Wanderung an diesem entlang. Die Szenerie wurde malerischer, vereiste Gipfel, Bäche zum Durchwaten, Yaks und ein paar Hütten oder Zelte der Hirten, das Wetter war durchwachsen mit Sonne, Regen, Wind und dem einen oder anderen Hagelschauer. Die dünne Luft machte mir doch etwas zu schaffen, so dass ich nicht allzu weit ging, sondern weit vor dem Abend mein Lager aufschlug. Am Folgetag lief ich weiter bergan, bis ich zu einem mäandernden Quellgebiet kam, wo der hier noch ziemlich un-mächtige Mekong seinen Ursprung hat. Dort verbrachte ich eine weitere Nacht und trat am Folgetag dann den Rückweg zur Straße an.

Ursprünglich beabsichtigte ich ein weiteres Gebiet noch weiter westlich nahe des Geladaindong aufzusuchen, aber angesichts der großen Entfernungen und nicht gerade hochfrequentierter Straßen – zudem musste ich ja auch von da wieder zurück – entschied ich mich zurück nach Yushu zu fahren und von dort aus weitere Exkursionen zu unternehmen.

Am Chola Shan

Das nächste Ziel war das Gebiet des Chola Shan und der Weg dahin komplizierter als gedacht, was ich nicht zuletzt mit der Hilfe einer jungen, hilfsbereiten Frau am Busbahnhof von Yushu herausfand. Busse fuhren nicht und ein verabredetes Sammeltaxi holte mich nicht um 5 Uhr früh vor meinem Hotel ab, was aber auch einem Missverständnis geschuldet sein konnte. Ich schlief dann noch ein paar Stunden und nahm dann ein Taxi für ein paar Kilometer bis zu einer Kreuzung, ab welcher der kürzeste Weg nach Ganzi abzweigte. Bloß entpuppte sich dieser als eine einspurige Straße in schlechtem Zustand, also folgte ich trampend einer anderen, vorerst parallel zu einer neuen Autobahn Verlaufenden und dann nach Osten Abbiegenden. Das Fortkommen gelang in Etappen per Daumen, mit Kleinbussen und Sammeltaxen, das Plateaupanorama mit einem unglaublich weiten Himmel war wie immer beeindruckend. Vor Ganzi bog die Straße wiederum nach Westen ab und ein junges Paar nahm mich mit zu einem sehr touristisch erschlossenen See mit Blick zum Chola Shan. Dort wurde mir, vielleicht auch wegen des fortgeschrittenen Tages und trotz der Bemühungen meiner neuen Bekannten, das Wandern jenseits des eingezäunten Bereiches untersagt.

Plan B entstand stante pede – das Durchwandern des Gebietes von der anderen Seite ab Derge. Bei einbrechender Dunkelheit war ich auf der Straße und wurde unglaublicherweise von einer jungen Familie aus Chamdo (Xizang) bis Derge mitgenommen. Dort nahm ich mir ein Zimmer und verließ den Ort am nächsten Morgen. Vorbei an einer bedeutenden tibetischen Druckpresse, wo nach wie vor mit jahrhundertealten Holzblöcken gedruckt wird, gewann ich langsam an Höhe. Über Hochweiden und Pässe, durch Täler und kleine Ortschaften kam ich gut voran, bis mich am zweiten Abend massiver Sturm und Regen erreichten, der in Schnee überging. In einem halbverfallenen alten Stall errichtete ich etwas geschützt das Zelt. Als wenn es so nicht ungemütlich genug gewesen wäre, verlor meine Isomatte stetig Luft. Die Suche nach dem Leck blieb erfolglos und da ich noch mindestens 3 Tage bis zu meinem Zielort gebraucht hätte und der am Vortag zuletzt eingeholte Wetterbericht nichts Gutes verhieß, kehrte ich um, um auf der glücklicherweise nahen Stichstraße nach Süden raus aus dem Gebirge zu kommen. Dies gelang mir wiederum erstaunlich schnell mit ein paar Bauarbeitern, und schon bald befand ich mich im Yangtze-Tal auf dem Weg zurück nach Derge. Im Hotel fand und flickte ich das winzige Loch in der Matte und war so gewappnet für kommende Touren.

…und weiter

Am nächsten Tag, bei strömendem Regen, saß ich im Bus nach Ganzi, ein mir ebenfalls schon bekannter Ort. Ich nahm mir ein Taxi für ein paar Kilometer und befand mich am Startpunkt einer weiteren Tour am Kawarori-Massiv (https://www.camp4.de/blog/reiseberichte/reisebericht-in-den-bergen-sichuans/), auf etwas anderen als bekannten Pfaden. Das Wetter blieb durchwachsen, ich kampierte unweit eines Passes, und brach gen Mittag, als es aufzuklaren schien, auf. Doch entweder war ich zu langsam oder ich täuschte mich am Wolkenbild – jedenfalls fand ich mich auf der Passhöhe inmitten eines Gewitters wieder. Ich kauerte mich hin und das Gewitter zog über mir hinweg ohne dass ich vom Blitz getroffen wurde. Lang war der schneevermatschte Weg durch Geröllfelder ins Tal, zudem war die Orientierung in den Wolken nicht leicht, Wege gab es selbstverständlich nicht. Nach ein paar Stunden hatte ich es aber geschafft und fand mich auf einem Weg entlang eines Flusses wieder. Das Wetter blieb nasskalt und am nächsten Tag erreichte ich die Straße und war schon bald auf dem Weg nach Litang, ein weiterer mir nicht unbekannter Ort, der bei meiner letzten Reise hier Kreuzungspunkt verschiedener Touren war.

Am nächsten Tag war ich auf der G318, DER touristischen Straße Nummer 1 in China die von Shanghai bis Lhasa bzw. weiter bis zur Grenze zu Nepal führt. Davon zeugten neben zahlreichen SUV-Konvois und abenteuerlich anmutenden Wohnmobil-Selbstbauten auch erstaunlich viele Radtouristen. Ich ließ mich kurz hinter einem Pass rauswerfen und startete die nächste Tour nach Norden. Über Hochweiden, an Bächen und halbnomadischen Siedlungen vorbei gewann ich an Höhe, das Gelände wurde zunehmend unwegsam und kurz vor Dunkelheit baute ich mein Zelt auf nur relativ ebenem Boden auf. Am nächsten Tag überquerte ich einen Pass von über 5000 Metern, umgeben von einem Panorama naher hoher Berge, und in der Ferne sichtbarer höherer Gebirgsketten. Der Abstieg nach Nordwesten wurde schnell sehr fordernd: gigantische Blockfelder bzw. die Ergebnisse von Felsstürzen, mutmaßlich beim letzten Erdbeben passiert, machten die Fortbewegung anstrengend. Ich kreuzte, wechselte die Bachseiten, gewann und verlor an Höhe, und langsam kam ich voran. In diesem nicht nur unwegsamen sondern geradezu zerstörtem Gelände war an einen flachen Flecken zu Zelten nicht zu denken, so ging ich bis weit in die Dämmerung hinein und fand schließlich, nachdem zunehmend kleine Wäldchen dem Geröll Platz gemacht hatten, einen akzeptablen Flecken. Bald erreichte ich am nächsten Tag die Straße, mit mehreren Autos befand ich mich nicht nur bald wieder auf der G318, sondern auch wieder in Litang. Weiter ging’s am Folgetag nach Kangding mit Hilfe eines älteren höherrangigen Mitglieds der PLAAF, der permanent auf die Landstreitkräfte schimpfte, ziemlich riskant auf der nicht gerade risikoarmen Bergstraße fuhr und wir noch einem vom Weg abgekommenen anderen Fahrzeug halfen und dabei nebenbei auch Zeugen einer Himmelsbestattung wurden. Danach lud mich eine junge Polizistin in zivil in ihr Auto, sie telefonierte abwechselnd auf mandarin und tibetisch, und ihre sportlich-elegante Erscheinung fand eine Entsprechung in ihrem Fahrstil, der aber im Gegensatz zum Militär davor ziemlich sicher war.

Hindernisse am Minya Konka

Von Kangding aus beabsichtigte ich einmal mehr entlang des Minya-Konka-Massivs zu wandern. Dies scheiterte an einem Schlagbaum, der nicht von staatlichen Organen sondern Zivilisten betreut wurde. Man verlangte eine polizeiliche Registrierung. Ich begab mich also zurück nach Kangding zum örtlichen Public Security Bureau, wo mir auch irgendwann geholfen wurde, nachdem sehr lange niemand zuständig war, oder sie mich versuchten zu anderen Stellen wie dem Tourismusbüro zu schicken. Mit der Registrierung ging es also zurück zum Schlagbaum, wo in Folge der junge Mann mit seinem Boss – wer auch immer dies war – hin- und herkommunizierte, ich mein Anliegen, meine Erfahrung, meine Ausrüstung immer wieder vorbrachte, bis final vom Boss das Nein kam. (Hintergrund der Sache sind einige Todesfälle der letzten Jahre, eine Folge des zunehmenden Tourismus in dieser Gegend. Und die Zugänge werden von Einheimischen bzw. lokaler Selbstverwaltung kontrolliert.) Der junge Mann riet mir, von Süden in das Gebiet einzuwandern, weil es dort keine Kontrollen geben würde. Nichtsdestotrotz war ich sehr frustriert und fuhr zurück nach Kangding ins Hotel, nicht ohne zuvor ein Fläschchen Schnaps zu erstehen. Im Stadtbus sprach mich eine Schülerin in durchaus passablem Englisch an (alle lernen Englisch in der Schule ab der dritten Klasse, bloß trauen sich nur die wenigsten es zu sprechen), sie war aufgeschlossen und neugierig und vor ihrem Ausstieg wollte sie noch meine Wechat-Nummer haben, die ich ihr selbstverständlich auch gab.

Also, Plan B, irgendwie um das Massiv herum kommen um es dann von Süden zu queren: Ich wählte die östliche Route, da mir die westliche bereits bekannt war. Trampend kam ich ganz gut voran, bis mir von Radfahrern an einer Kreuzung mitgeteilt wurde, dass ein Tunnel der von mir gewählten Straße seit dem letzten Erdbeben verschüttet sei. Was tun? Noch einmal zurück nach Kangding und den Weg in die andere Richtung versuchen? Ausgeschlossen, ich hatte schon den gestrigen Tag verloren. Stattdessen gedachte ich, es mit einem Stich ins Minya-Konka-Massiv zu versuchen, schaute mir auf der Karte eine mutmaßlich günstige Stelle aus und begab mich zum Startpunkt des Weges bzw. dem Ende der Straße. Bauarbeiter machten mir sehr deutlich, dass der gewählte Weg wegen Erdrutschen nicht passierbar sei. Ich dachte, dass es so schlimm nicht sein kann und ging weiter. Nach dem Passieren der Baustelle war der Weg immer öfter von massiven Erdrutschen zerstört, die zuerst noch relativ einfach zu queren waren, aber immer schwieriger im ziemlich steilen Gelände wurden. Das, was vom einstigen Weg noch übrig war, war zugewuchert. Es dämmerte, und die Zeltplatzsuche in diesem Gelände war schwierig. Irgendwann fand ich einen Flecken, am tosenden Bachlauf, genau unterhalb eines solchen Geröllsturzes. Am nächsten Tag trat ich den Rückweg an, da nach einigem Herumkundschaften der weitere Weg unmöglich zu finden gewesen war.

Also trottete ich zurück ins Tal, wurde wiederum ziemlich zügig mitgenommen und nahm wiederum einen weiteren Alternativplan in Angriff: eine Runde in einem Gebirgszug östlich bzw. parallel gegenüber des Konka-Massivs. Ich begann den Anstieg auf kleinen Straßen, passierte unbemerkt einen Kontrollpunkt (für was auch immer) und ließ bald die letzten Häuser hinter mir, durchstreifte den Hochwald und erreichte schon bald den Grat, auf dem der Weg entlangführte. Dieser war meist ganz gut, nicht zuletzt wegen der Hochweiden, auszumachen, einzig in häufiger werdenden Wäldchen wurde es etwas unübersichtlich. Und gen Nachmittag wurde mir ein Problem bewusst: auf einem Grat ist es eher schwierig Wasser zu finden. Irgendwann passierte ich ein Lager von chinesischen Touristen mit einheimischen Guides und ein paar Zelten, ich fragte nach Wasser und bekam eine Plastikflasche, ich dankte, fragte nach einer Quelle und es wurde mit dem Kopf geschüttelt. Da ich vom Umkehren genug hatte blieb nur der Weg weiter. Ich hoffte, dass dieser weiter gut sichtbar blieb und lief bald in die Dunkelheit hinein. Hilfreich war ein beinahe voller Mond, aber irgendwann, ein paar Kilometer vom Pass entfernt, hinter dem mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fließendes Wasser existieren sollte, wurde es weglos. Und nicht nur weglos, sondern es gab faktisch nur noch Geröll bzw. Boulderfelder. Unschön, aber nun gab es kein Zurück mehr: Ich kraxelte, fluchte, rastete, schaute hier und da mal im Stirnlampenschein nach leichteren Passagemöglichkeiten, die letzten Wassertropfen wurden irgendwann auch getrunken, und deutlich später als projektiert, nämlich deutlich nach Mitternacht erreichte ich final den anvisierten Wasserlauf. Ich löschte den Durst, baute das Zelt auf, aß etwas und konnte nun erst den Blick auf den vom Mond beleuchteten Minya-Konka auf der anderen Talseite wirklich genießen.

Der nächste Morgen zeigte sich im strahlenden Sonnenschein und ich kam erst ziemlich spät los, aber dann ganz gut voran. Das Wetter wurde allerdings immer schlechter, es nieselte und die Sicht wurde mehr und mehr durch aufsteigenden Nebel behindert. Vor einer Passhöhe zeltete ich an einem Bach. Das Wetter blieb nachts regnerisch, und auch am nächsten Tag blieb es nicht nur nasskalt, sondern auch die Sicht blieb schlecht. Abends bei einsetzendem Schneefall und Sturm erreichte ich dann einen Punkt, von welchem nur noch ein Pass zu queren, und von dort aus der Weg ins Tal frei war. Nachdem ich nachts eingeschneit wurde schien aber am nächsten Morgen mal wieder die Sonne und der Blick auf die gegenüberliegende Minya-Konka-Kette öffnete sich. Die Laune stieg und ich legte den Weg hinauf ganz zügig zurück, puschelige freilaufende Pferde zeigten sich neugierig, und im sehr langen Abstieg drosselte ich mein Tempo. Auf den letzten Metern begegnete ich staunenden Leuten, und auf der Straße wurde ich prompt von Polizisten mitgenommen, die angesichts meines Alters anboten, mich mit näheren oder ferneren Bekannten oder Verwandten zu verheiraten. In Kangding kehrte ich wiederum das dritte Mal in „meinem“ Hotel ein, erstand ein Busticket für den nächsten Tag nach Chengdu und erkundete das Städtchen ein weiteres Mal.

Chengdu und Rückreise

In Chengdu, einer meiner chinesischen Lieblingsstädte, da es eine bestimmte entspannte, geradezu unhektische Atmosphäre hat, tat ich wiederum nicht viel außer bekannte und unbekannte Straßen zu beschreiten. Und ich verabredete mich mit den am Chola-Shan getroffenen jungen Leuten zum Essen und Trinken und ich ging mit nicht wenigen neuen Einblicken und Erkenntnissen aus den langen Gesprächen.

Die Rückreise war dann noch etwas aufregend, weil die Airline mir eine Flugänderung mitteilte, der geänderte vorverlegte Flug nach Guangzhou dann doch nicht stattfand, der nächste Flug am Vormittag des nächsten Tages vom anderen Flughafen der Stadt ging, ich also per Metro dorthin fahren musste, eine Nacht im Hotel spendiert bekam, um dann am nächsten Morgen zu fliegen. Kurzum, ich befand mich in der Hand von hilfsbereiten Profis. In Guangzhou fuhr ich nicht noch einmal in die Stadt sondern lungerte am Flughafen herum und vervollständigte meine Reisenotizen. Der Nachtflug zurück nach Frankfurt war ereignisarm und ich schlief erstaunlich gut und viel, nicht zuletzt hatte ich bei dieser Reise ausnahmsweise die zweitgünstigste Kabinenklasse gewählt, die mit einem beachtlichen Komfortgewinn einherging. Man gönnt sich ja sonst nix. Und jünger wird auch niemand.

Shortcuts:

Transport: In den Bergen Sichuans und Qinghais westlich von Chengdu und südlich von Xining gibt es leider noch keine Züge, eine neue Trasse, die Chengdu mit Lhasa verbinden wird, ist allerdings im Bau, einige Baustellen unweit von Litang sah ich, und die Strecke dürfte in den nächsten Jahren eröffnet werden. Busse fahren regelmäßig und zuverlässig zwischen größeren Orten. Für kürzere Strecken gibt es Minibusse und Sammeltaxis und dies funktioniert blendend und fair. Und wo es diese nicht gibt wird die reisende Langnase, auch ohne den Daumen in den Wind zu halten, einfach und selbstverständlich mitgenommen.

Bücher und Karten: Die Hauptstützen meiner Reise waren wieder sowjetische Generalstabskarten aus den 1980er Jahren 1:200 000 – diese Karten sind die besten Topokarten die es außerhalb der chinesischen Volksbefreiungsarmee gibt und es lässt sich mit ihnen arbeiten – und das Buch „East of the Himalaya, Alps of Tibet&Beyond, Mountain Peak Maps“ von Tamotsu Nakamura, The Japanese Alpine Club 110th Anniversary Publication, Kyoto 2016(Japanisch/Chinesisch/Englisch): Tamotsu Nakamura ist der Pionier in der systematischen Exploration dieser Region und die Koryphäe für Alpinismus in China. Er hat in den letzten Jahrzehnten beinahe 40 Expeditionen in die Berge Chinas durchgeführt und das Buch ist das imponierende Resultat. Es beinhaltet unzählige Fotos, Kartenskizzen und Beschreibungen und könnte so als Grundlage für Explorationsalpinismus in dieser jenseits der Wahrnehmung Vieler liegenden faszinierenden Weltgegend dienen.

Auf Deutsch gibt es von ihm „Die Alpen Tibets, Östlich des Himalaya“, Hamburg 2008. Es ist eher ein Bilderbuch mit Reisebeschreibungen. Ähnlich in der Aufmachung ist Michael Brandtners „Minya Konka, Schneeberge im Osten Tibets“, Hamburg 2006.

Hilfreicher, aber nicht an Nakamuras Opus Magnum heranreichend, ist das von der Chinese Mountaineering Association 1992 publizierte „A Guide to Mountaineering in China“(Chinesisch/Englisch) mit Karten, Skizzen, Fotos und Beschreibungen.

Auch Offlinekarten werden immer besser, sollten aber nicht als einziges Material verwendet werden.

Reisezeit: Jenseits des Sommermonsuns, also im Frühjahr oder Herbst. Ich hatte trotzdem mit relativ viel Niederschlag in Form von Regen und Neuschnee zu kämpfen. Im Winter ist es trocken aber kalt.

Einreise: Mittlerweile ist der Aufenthalt in der Volksrepublik China zu touristischen Zwecken bis zu 30 Tage für Bürger der BRD visafrei möglich, ich brauchte allerdings noch ein Visum, da kurz vor Einführung dieser Regel reisend. Diese Regel gilt offiziell bis Ende 2025, ich gehe allerdings von einer Verlängerung aus.