In 50 Wochen um die Welt. Eine Familie unterwegs zu sich selbst. Ein Buchtipp über die mutige Entscheidung der Familie Lilienthal alles hinter sich zu lassen, die Zelte zu Hause abzubrechen und noch einmal von vorne anzufangen.

Ich habe mehrere befreundete Pärchen, die mir ständig erzählen, dass sie noch kein Baby bekommen wollen, weil sie noch dies und jenes machen wollen. Hier oder dahin reisen möchten und glauben, dass das mit Kind nicht möglich ist, oder schwierig umsetzbar. Dieses Buch beweist das Gegenteil. Denn nachdem ich über Svenja und Lars Weltreise – wohlgemerkt mit zwei Kindern – gelesen hab, kann ich all denen, die denken, das geht doch nicht, nur sagen: „Leute, lesen und dann Baby machen! Denn alles ist möglich.“

Aber von vorne, an einem meiner Streifzug-Tage landete ich bei Jürgen im Reisebuchladen und da lag es vor mir: In 50 Wochen um die Welt. Eine Familie unterwegs zu sich selbst, so der Titel des Buches. „Jürgen“, sagte ich, „das wird mein nächstes Buch!“

Philosophischer Start

An einem verregneten Nachmittag sitzen Svenja und Lars zusammen in ihrer Teeküche, sind erschöpft vom Tag, es regnet draußen und wieder einmal ist da dieser unausgesprochene Gedanke. Der Gedanke einer großen Idee: ‚Wir haben uns an einem Punkt in unserem Leben, als sich nichts mehr weiterzuentwickeln schien, entschlossen noch einmal auf die Reise gemacht, dieses Gefühl zu suchen. An einem Punkt, wo wir uns entscheiden mussten, uns dem Alltag zu ergeben oder noch einmal alls zu wagen und völlig neu anzufangen.‘

Feste Konstante sind die regelmäßigen Besuche am Strand. Hier in Goa.

Feste Konstante sind die regelmäßigen Besuche am Strand. Hier in Goa.

Über ein Jahr reift diese Idee, werden Vor- und Nachteile abgewogen. Beide Eltern sind selbstständig, Svenja führt einen Brautmodenladen und Lars ist Fotograf mit einem eigenen Postkarten-Verlag. Was passiert mit ihrer Arbeit? Was machen sie hinterher, wird das Geld reichen? Der große Sohn geht in die zweite Klasse. Ein Problem, dass es auch noch zu lösen galt.

Aber so kompliziert, wie es zunächst klingt wurde es gar nicht. Nach eingehenden Gesprächen mit der Lehrerin und dem Versprechen den Sohnemann von unterwegs mit Lehrstoff zu versorgen stand der Reise nichts mehr im Wege.

Geht es jetzt los?

Ein Jahr Planung und ein Jahr Verabschiedung liegen hinter den vier Reisenden bevor sie tatsächlich los fahren. Sie folgen hierbei ganz der Faustformel, wer ein Jahr reist, soll sich ein Jahr von allen Freunden und der Familie verabschieden: ‚Dieses Jahr des Abschieds war für uns alle und für alle anderen enorm wichtig und ließ uns später unsere Reise mit einem viel besseren Gefühl beginnen. Wir gaben Menschen, denen wir uns nahe fühlten, und uns die Chance, noch einmal Dinge zusammen zu erleben. Es ist einer der Tipps, die wir wirklich besonders gerne weitergeben wollen, weil er so hilfreich und zugleich einfach und schön umzusetzen ist.‘

Das sind solche Passagen, die ich so gerne an dem Buch gelesen hab. Es geht nicht einfach nur um das Reisen an sich, sondern Svenja und Lars beschreiben auch das drum herum, all die Zweifel, schweren Überlegungen und Entscheidungen, die man treffen muss, wenn man sich für länger verabschieden möchte.

Sie machen das aber so schön und einfühlsam, dass ich schon beim Lesen sofort anfing, darüber nachzudenken wo ich überall hin reisen möchte und was ich dazu noch tun muss. Was gibt es noch zu erledigen und zu überlegen. Und dann natürlich die alles entscheidende Frage des wann? Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Familie Lilienthal in Indien: Mama Svenja, die Kinder Marlon und Noah sowie Papa Lars. Foto: Lars Lilienthal

Familie Lilienthal in Indien: Mama Svenja, die Kinder Marlon und Noah sowie Papa Lars. Foto: Lars Lilienthal

Abenteuer unterwegs

Wer denkt, dass bei den Vieren nun alles glatt lief, der täuscht sich gewaltig, denn so eine Reise birgt viele verschiedene Tücken: ‚Daher ist wichtig zu beachten, dass man einen großen Teil der Zeit einer Weltreise mit a) warten b) Suchen und c) Planung d) Organisation und e) Ersatz sämtlicher Planungen durch Improvisation.‘ Im steten Wechsel beschreiben Svenja und Lars ihre Eindrücke aus den verschiedenen Ländern. Gestartet sind sie in Indien, wo sie schon vor der Familiengründung alleine und zu zweit unterwegs waren. Weiter ging es über Thailand, Kambodscha und Laos nach Australien und Neuseeland. Es folgten Fidschi und Panama, bis sie über die USA und Florida wieder ins heimische Leverkusen zurück kehrten.

Viele Orte haben sie wieder entdeckt, aber andere waren längst nicht mehr so schön, wie sie sie in Erinnerung hatten. Dank ihrer Kinder sahen sie die Dinge und Menschen mit einem anderen Blickwinkel, den Erwachsene vielleicht so gar nicht wahrnehmen.

Immer wieder wird im Buch betont, dass die Zeit, die die vier zusammen verbringen wohl das Wertvollste der Reise sind. Aufeinander aufpassen, zusammen staunen und spielen – gemeinsam langweilen. Dinge, die wir im Alltag so überhaupt nicht empfingen. Stets sind wir auf der Suche nach neuer, spannender Beschäftigung, aber dass Langweile vielleicht die kreativste Zeit ist, dass würde uns wohl so nicht in den Sinn kommen.

Weihnachten am Meer

Besonders schön fand ich auch die Beschreibung der Weihnachtsfeier an einem Strand in Goa. Nach einer ernüchternden Suche stand die Familie auf der Straße, abgeschreckt von all den indischen Party-Touristen sahen sich schon in einer dunklen Seitenstraße, als sie von einem freundlichen Taxifahrer aufgelesen werden.

Mit einem unverhofft schönen kleinen Lagerfeuer saßen sie plötzlich unter Palmen am Strand und dass obwohl sie gerade eben noch obdachlos zu sein schienen, und das am Heiligabend. Über die Geschenke schreibt Svenja: ‚Es war genau das, was wir eigentlich gesucht hatten und an den zugebauten Stränden des Massentourismus nicht gefunden hatten. Es wurde eines der schönsten Weihnachtsfeste, an die wir uns erinnern können.‘

Vorher war nicht klar, wo und wie die Familien den Heiligen Abend verbringen würde und dennoch hatten sie kleine Geschenke besorgt: ‚Es waren zwei kleine Legomännchen und ein Knicklicht, die kleine Möglichkeit etwas platzsparend über vier Monate zu transportieren. Auch zeigte sich nach all den Geschenke-Orgien, die wir in Wohlstandsdeutschland zu manchem Fest erlebt hatten, dass der Zauber des Schenkens allein in der Überraschung liegt.‘

Neugier und Unbekümmertheit

In 50 Wochen um die Welt von Lars Lilienthal

In 50 Wochen um die Welt von Lars Lilienthal gibt es im Reisebuchladen des CAMP4 Berlin!

Wer sich jetzt Gedanken darüber macht, ob so eine Reise für Kinder denn gut sei, der wird hier eines Besseren belehrt. Die Brüder Marlon und Noah sind so voller Neugier und Unbekümmertheit an jedes neue Reiseziel herangegangen, schreiben Svenja und Lars, dass sie nie einen Zweifel daran hatten, es wäre falsch mit Kindern zu reisen.

Kinder lernen noch viel schneller als wir Erwachsene. Was heißt, offen und spontan Neuem gegenüber zu sein. Was stört schon eine Kakerlake oder ein dreckiges Hotelzimmer, eine Nacht am Flughafen, wenn doch Heimat da ist, wo die Familie zusammen ist. Wirklich schön sind diese Beschreibungen solcher Situationen, wo ich mir als Leser darüber bewusst werde, wie schön es sein kann, zusammen unterwegs.

Was haben die Kinder noch gelernt: Wie man sich in fremden Ländern und unvorhersehbaren Situationen verhält. Sie haben gemerkt, wie schnell man Freunde findet und überhaupt, was sind eigentlich Vorurteile? Mit scheint, wenn ich das lese, dass die Kinder eher den Eltern die Welt zeigen…und das funktioniert so gut, dass ich am liebsten nach Hause fahren möchte und sofort anfangen will, zu planen.

Was mich berührt

Was mich persönlich am meisten berührt ist die Zeit, die man zusammen als Familie verbringt. Im Alltag verlieren wir uns doch ständig aus den Augen. Jeder geht seiner eigenen Arbeit nach. Ich weiß nicht, was meine Tochter in der Kita erlebt und nie sitze ich in ihrem Morgenkreis, auch wenn sie der Meinung ist, dass Mamas Teamsitzungen auch ein Morgenkreis seien. Das letzte mal hatten wir so viel Zeit zusammen….tja, vielleicht im Urlaub. Und immer denke ich mir: Mehr davon! Die Lilienthals zeigen mir, dass es funktionieren kann.

Denn auch wenn das Tag und Nacht aufeinander hocken zu einem Lagerkoller führen kann, so lernt man doch aufeinander Rücksicht zu nehmen, Kompromisse einzugehen und zusammen zu halten.

Klar es gehören auch Angst und Zweifel dazu: Was passiert bei Krankheit? Gibt es überall einen Arzt? Wo ist das nächste Krankenhaus? Was ist mit Kriminalität, gerade in den sehr armen Ländern, wie Indien? Damit kamen die vier gar nicht so in Berührung, viel gefährlicher hingegen fanden sie die Situationen im Straßenverkehr.

Und zum Schluss?

Stellt sich noch die Frage nach der Schule? Noah hat sein Jahr wiederholt, aber auch das ist nicht so schlimm, denn wo lernt man mehr über Menschen, Geschichte und Kultur, als im Tempel selber: ‚Nur mit der Muschel in der Hand lässt sich die Entstehung der Alpen erklären und warum Forscher sich heute immer stärker um die Biostrukturen in der Natur kümmern – weil die Natur der bessere Baumeister sein kann.‘

Bleibt noch zu fragen, welche Pläne die Familie als nächstes hat? Raus ziehen wollen sie, im Grünen leben, aber konkret ist da noch nichts. Die Lilienthals nehmen sich Zeit. Sie haben sich entschleunigt und dass nicht nur, als sie auf ihrer Reise die Pläne umschmissen und alles ruhiger angingen. Auch im Alltag achten sie jetzt wieder mehr aufeinander.

Ein tolles Buch, aus dem eine Recherche nach weiteren Büchern dieser Art wurde und ein großer Stapel voller Geschichten von Reisen mit Kind und Familie. Mehr davon wird es bald hier geben.

Bleibt mir noch zu schreiben: Lesen! Für alle, die mit Kind aussteigen wollen. Aussteigen aus dem Alltag, raus kommen aus dem ewigen Trott. Einmal wieder besinnen und herausfinden, was man wirklich will. Zeit zusammen verbringen. Langweilen. Eigentlich ein Buch für jeden, der die Entscheidung, jetzt geht es los, noch nicht treffen konnte.