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Zelten in einer Tornadoschneise

Zelten im Tornado oder Outburst. Alle Bilder: Martin Otto

Sturmböen zerren am Gestänge. Starkregen, Hagel, scheinbar überhaupt jede Art von Niederschlag dreschen auf das Kuppelzelt ein, nahe Blitzeinschläge, ohrenbetäubender Donnerknall – doch bis hierher ist das ganze Drumherum nur ein Gewitter, wenn auch das Zentrum eines ausgesprochen schweren…und das im heimischen Rheinsberger Seengebiet.

Doch dann mehr: Für wenige Sekunden nie gehörter Windlärm der alles, selbst jeden Versuch sich anzubrüllen, übertönt, das Zelt wird mit einem gewaltigem Schlag niedergepeitscht, wir klemmen unter irgendetwas fest, befreien uns, ertasten in der Dunkelheit einen Ausgang – und finden uns inmitten eines Trümmerfeldes wieder.

Es sollte nur eine mehrtägige Kanutour mit unserem Ally-Kanadier werden, und diesmal ganz einfach: Nicht durch Skandinavien, fernab von Ortschaften mit wildem Zelten irgendwo am Ufer, sondern hier, fast vor der Haustür in Brandenburg / Mecklenburg. Kanuwandern im Rheinsberger Seengebiet während der Hauptsaison, zwischen Yachten, Hausbooten, Flößen, Badegästen und Dampfern.

Fast etwas simpel, so schien es Sirkka und mir zunächst, auch gewöhnungsbedürftig, kehrten wir doch nun plötzlich auf Zeltplätzen ein, sogar Kurtaxe war erforderlich für jeweils eine Nacht, doch wollten wir eben wissen, was man hierzulande noch so machen kann, welches Wildnisgefühl in einem beliebten heimischen Erholungsgebiet etwa in den Sommerferien noch drin ist.

Wir sollten nicht enttäuscht werden …

Es war der 2. August 2014, seit Tagen schon drückte eine für hiesige Breiten ungewöhnliche Hitzewelle aufs Land, hin und wieder gab es örtlich Gewitter, es bestanden in dem Zusammenhang Unwetterwarnungen des Deutschen Wetterdienstes. Auch diese Bedingungen waren für uns beim Paddeln in Deutschland relativ neu, da wir für gewöhnlich die Sommerzeit meiden und eher in der Nebensaison oder gar im Winter mit dem Kanu unterwegs sind.

Um dem Trubel auf den Gewässern zu entgehen und mehr Naturerlebnis für uns zu haben, nehmen wir sonst eher Nachtfröste, Regen und kurze Tage mit kühlem, unbeständigem Wetter in Kauf. Nun waren wir stattdessen umgeben von munterem Badetreiben an jeder Ecke, regem Bootsverkehr, lustigem Miteinander von allem was schwimmt, beim Warten an Schleusen –  hatte ja auch was, Schleuseneis und Schleusenkrug … und das bei Temperaturen, die sich nur im oder zumindest auf dem Wasser ertragen ließen.

Am Nachmittag auf dem Großen Pälitzsee, an der Grenze zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, fiel die Wahl eines Zeltplatzes nicht schwer, fast alle hier liegen idyllisch am Wasser, mehr oder weniger als Waldzeltplätze am von Kiefern gesäumten Ufer. Auch ist man fast überall eingestellt auf Paddler, die nur eine Nacht bleiben und dann weiterziehen.

Die Anmeldung ist spontan unkompliziert und es gibt auf den Plätzen für Wasserwanderer eigene Bereiche mit entsprechenden Anlegemöglichkeiten. Boot ans Ufer verbracht, Zelt aufgebaut und dann in der Schwüle eigentlich nur noch warten auf die Nacht – die die ersehnte Abkühlung auf so verheerende Art mit sich brachte.

Ein Unwetter zieht auf

Kurz nach Mitternacht war an Schlaf noch nicht zu denken, zu der äußeren Wärme kam noch eine innere Unruhe, so als spüre etwas in einem die extrem elektrisierte Luft oder das Außergewöhnliche an dieser Situation – die Gefahr vielleicht? Meine Gedanken kreisten um die Wahl des Standortes, wie hoch ist das Blitzschlagrisiko, ist die Stelle sicher, gäbe es eine bessere? Dass es ein Waldzeltplatz ist, wir zwischen Bäumen standen, war mir bewusst, doch irgendwo musste das Zelt ja hin, auf freies exponiertes Feld möchte man bei Gewitter schließlich auch nicht, immerhin waren wir nicht weit oben, sondern am zum See hin abfallenden Hang.

Erst jetzt, nach diesen Gedanken, gegen 2.00 nachts, zieht das Unwetter tatsächlich aus der Dunkelheit herauf. Ich denke dabei noch zurück an Stürme und Gewitter, die ich bereits früher im Zelt ausgestanden habe, in Schwedischen Seengebieten, am Grand Canyon oder in den Rumänischen Karpaten, beeindruckende Naturgewalten, bei denen ich mich im Bergzelt einfach nur klein fühlte, aber stets sicher, die ich immer als spannend und überwältigend empfand, doch niemals als angsteinflößend. Furcht vor oder während eines Gewitters kannte ich – bis zu diesem Zeitpunkt – nicht.

Gegen 2.30 Uhr sind wir mittendrin. Sirkka ist nun auch hellwach. Uns ist schnell klar: Dieses ist heftig! Und wir sind genau im Zentrum! Wiederholt Donner mit hellem, lautem, kurzem Knall in kaum zeitlichem Abstand zum Blitz, Sturmböen und eine schier unglaubliche Niederschlagsmenge wüten um uns herum. Einmal wird das Zelt kurz niedergedrückt, wir hatten fast den Eindruck dies geschah eher durch den Wasser- als durch den Winddruck, falls das überhaupt möglich ist. Es läßt sich von innen wieder aufrichten.

Selbst Brüllen ist zwecklos

Wir wägen gerade die Unannehmlichkeiten ab, die von den Wassermassen ausgehen könnte, die nun draußen am Hang sicherlich als Schlamm in Richtung See – und Zelt – drängen, auch freuen wir uns noch, wie gut unser bisher nicht so oft erprobtes Wechsel-Zelt Forum 4.2 das alles aushält, als es in Sekundenschnelle geschieht: Wieder eine Böe, aber anders, lauter, plötzlicher, nicht anschwellend, sondern sofort voll da, ein Kreischen, Fauchen, ein nie gehörtes Geräusch mit (und darin sind wir uns nicht nur rückblickend einig, sondern das haben wir in der Situation spontan beide gleich so empfunden) etwas Rotierendem und Vibrierendem drin, wie eine riesige, sich viel zu schnell drehende Bohrmaschine.

Einfach alles andere geht in diesem Lärm unter. Während der pausenlosen Blitze sehe ich Sirkkas sprechenden, ja schreienden Mund, jedoch höre ich von ihr nichts, will selbst was brüllen, auch das wird regelrecht im Getöse erstickt. Die Geräuschkulisse steht für diese wenigen Augenblicke wirklich in keinem Vergleich mehr zu irgendetwas, was zuvor tobte –  und das war schon viel. Dann ein Hieb aufs Zelt, wie von einer riesigen Peitsche, wir sind niedergedrückt , eingeklemmt. Unverletzt.

Das Geräusch ist sofort weg, nun wieder „normales“ Gewitter draußen. Noch sind wir gefasst: Ein großer Ast muss wohl auf dem Zelt liegen, so unser beider Gedanke, denn wir können ihn nicht abwälzen. Der muss weg! Wir können uns immerhin drunter hervorwinden, um aus dem Zelt zu kriechen. Noch immer wütet das Gewitter, erhellen Blitze die Nacht. Was wir in deren Schein sehen, verändert die Einschätzung der Lage schlagartig.

 Der Morgen danach

Wir stehen mitten in einem Chaos umgeworfener Bäume, eine sprichwörtliche Schneise der Verwüstung wurde in den Zeltplatz geschlagen, mittendrin unter anderem unser Zelt, nicht unter einem Ast, sondern unter einem ganzen Baum begraben, einer riesigen Kiefer deren Stamm weniger als einen Meter entfernt neben unseren Köpfen aufschlug, deren Krone auf dem Zelt liegt, und an deren Ästen wir uns heraushangeln müssen.

Es vergehen nur Sekundenbruchteile. So wie wir aus dem Zelt treten – barfuß und leicht bekleidet – sind wir buchstäblich bis auf die Knochen durchnässt, spüren wir immer noch gewaltigen Winddruck auf der Brust, sehen wir die Gefahr, noch einzelner, stehender Bäume neben uns und haben nur einen einzigen Gedanken: Weg hier! Zum ersten Mal im Leben fliehen wir und lassen wirklich alles zurück, ziehen keine Regenjacke, keine Outdoor Schuhe über, greifen keine Lampe, kein Handy, hasten nur, halb rennend, halb durch Baumkronen kletternd davon, hin zu dem Sanitärgebäude des Platzes, dem einzigen für uns erreichbaren soliden Haus.

Dort sind wir nicht lange allein. Weitere Flüchtlinge, aus den Zelten neben uns, eines mit einem „Volltreffer“ eines Baumes, finden sich ein, wie gestrandete Schiffsbrüchige hocken wir hier, geschockt, naß, frierend, einige kreideweiß, fast apathisch. Keiner ist verletzt, wir können es kaum glauben.

DANKE

Was nun folgte muss man wirklich als vorbildliches Krisenmanagement von Seiten der Zeltplatzleitung bezeichnen. Noch immer war es Nacht, vielleicht gegen 3.00 Uhr morgens, das Unwetter ist noch nicht ganz vorbei, da taucht schon ein eilig organisierter Suchtrupp aus einigen Dauercampern und dem Platzwart auf, durchstöbert jedes betroffene Zelt und schaut unter jeden Baum, dass ja nicht irgendwo noch einer liegt, hält dabei alle Betroffenen eng zusammen, um abzugleichen, dass ja keiner fehlt, bevor die gestrandete Gruppe in einem trockenen Wohnwagen untergebracht, versorgt und bewirtet wird. Alle miteinander fangen an, warm zu werden, zu reden, Schnaps gibt es auch, der Schrecken weicht so allmählich bis zum Morgen aus den Knochen. Danke!

So warf die Nacht Bäume um und der Morgen die Frage auf, was das Ganze nun gewesen ist. Als einer der ersten bin ich in der Dämmerung mit der Kamera zurück, um zu dokumentieren bevor Aufräumarbeiten beginnen. Ist es vom Schadensbild her nun eine Schneise, oder eher ein Nest? Auf jeden Fall sind die Verwüstungen räumlich sehr stark begrenzt, in unmittelbarer Nähe blieben Wohnwagen z.T. mit Campingmöbeln im Außenbereich völlig unversehrt, haben Camper zwar ein Gewitter erlebt, jedoch von diesen Schäden nebenan nichts mitbekommen.

 Was mich hinterher bewegt

Mich persönlich beschäftigt vor allem eines: Das Fallen der Bäume nicht im Sturm bemerkt zu haben. Sich im Zelt/ Schlafsack aufzuhalten und die Gefahr umstürzender Bäume nicht zu sehen, ist für sich schon unbehaglich. Das Umbrechen und Aufschlagen ausgewachsener, starker Stämme neben dem eigenen Kopf im Lärm des Sturms auch nicht zu hören – das macht richtig Angst! Die Bäume waren etwa zu gleicher Zahl mit Wurzel umgeworfen, wie in mehreren Metern Höhe am Stamm nahezu glatt gebrochen. Welche Winde waren hier am Werk??

Zunächst einmal scheiden die typischen Gewitterböen, die mit bis zu Sturmstärke dem Gewitter vor allem vorauseilen, sicherlich aus. Die Phase des Ereignisses war zu dem Zeitpunkt bereits vorüber und die Heftigkeit weit jenseits einfacher Sturmstärke.

Tornado in Brandenburg

Die lokale Zeitung berichtete einen Tag später: In jener Nacht sei eine Windhose über den Pälitzsee bei Großzerlang  gezogen und habe u.a. Schäden auf mehreren Campingplätzen angerichtet.

Eine Windhose ist eine in Deutschland geläufige Bezeichnung für einen Tornado. Der Ausdruck verharmlost jedoch ein wenig, stammt er doch aus einer Zeit, in der man Tornados hierzulande für die „kleinen“ und in den U.S.A. für die „richtigen, großen“ hielt. Dem ist nicht so. Ein Tornado ist ein Tornado, auch bei uns. Und es gibt sie auch bei uns. Von den ganz schweren vielleicht nicht so häufig welche, aber auch die kommen in Europa vor.

Sichtbar sind Tornados nun als Schlauch, -Trichter oder -Rüssel aus kondesiertem Wasser von der Wolke zum Boden. Sie können im Durchmesser wenige Meter bis mehrere hundert  Meter reichen. Tornados werden nach ihrer Stärke in Klassen F0 bis F5 eingeteilt, ab F1 Orkanstärke, die Windstärken in einem stärkeren Tornado reichen weit jenseits der Orkanstärke. Charakteristisch ist ferner, dass sie nicht an einem Ort stehen, sondern mit der Mutterwolke ziehen. Als Bild der Verwüstung, der Fachmann spricht von „Schadensbild“, hinterlassen sie oft eine Schneise.

 Downburst – in der Gewitterwolke beschleunigte Abwinde

Im Gegensatz dazu hinterlässt ein anderes Phänomen, die Gewitterfallböe, auch Downburst, im  Zusammenhang mit Gewittern eher nestförmige Verwüstungen. Downbursts sind etwas vollkommen anderes als die üblichen gewitterbegleitenden Sturmwinde. Hierbei werden Abwinde aus großer Höhe in der Gewitterwolke extrem beschleunigt, so dass, anschaulich, Wind regelrecht nach unten aus dem Gewitterturm herausfällt. Die Wirkung ist dann in etwa so, als würde jemand eine riesige luftgefüllte Spritze über einer kleinen, vom Gewitter betroffenen Region, schräg von oben nach unten auspusten.

Die Ausdehnung kann von Kilometern bis zu nur mehreren hundert Metern betragen, sie können Windstärken wie starke Tornados erreichen (dokumentiert bis 250 km/h, vgl. Orkanstärke = 117 km/h) und sind insbesondere als kleinräumige Microbursts u.a. in der Luftfahrt gefürchtet. Schwere Fallböen kommen viel häufiger vor, als Tornados, und sind in der Summe für wesentlich mehr Schäden verantwortlich.

Gibt es keine Augenzeugenberichte, wie hier in der Nacht, so ist allein vom Schadensbild her mitunter schwer zu entscheiden, ob ein Tornado oder ein Downburst gewütet hat, insbesondere wenn Tornados nur für kurze Zeit den Boden berühren. Fachleute werten die Daten der Wetterdienste dahingehend aus, ob überhaupt die atmosphärischen Bedingungen zur Entstehung von Tornados vorlagen, vergleichen verschiedene Berichte, ob sich etwa Schäden entlang einer Linie konzentrieren, und sie überprüfen vor Ort vor allem, ob Materialtransport vorliegt (Trümmer werden mit dem Tornado fortgerissen und woanders abgelagert) und welche Muster sich aus den Fallrichtungen der Bäume ergeben .

Willkommen auf der Tornadoliste

Einer dieser Experten ist Thomas Sävert, der auf seiner Homepage www.naturgefahren.de einen sehr informativen Überblick, nicht nur über die verschiedenen Sturmereignisse, sondern über Naturgewalten überhaupt gibt. In seiner Tornadoliste Deutschland (www.tornadoliste.de) sammelt er alle Beobachtungen und Verdachtsmomente, die auf Tornados hindeuten.

Wenngleich Fotos eines einzigen Schadensortes allgemein wenig zur Klärung des Phänomens beitragen, war er so freundlich, sich unsere Bilder anzuschauen. Danach spricht vieles für einen Downburst, manches auch für einen Tornado, so dass, nachdem offenbar weitere Schilderungen eingegangen sind, das Unwetter jener Nacht am Großen Pälitzsee als – gegenwärtig noch nicht abgeschlossener – Verdachtsfall in die Tornadoliste Deutschland aufgenommen wurde, bezeichnet als „… kleinräumiges Sturmereignis mit erheblicher Geräuschkulisse … und teilweise leicht konvergentem Schadensmuster, was auf einen Tornado hindeuten könnte.“

Wir haben ein sicherlich außergewöhnliches Unwetter unbeschadet überstanden. Wird Camping gefährlicher? Unter Stormchasern gilt eine Tornadosichtung schon als Sechser im Lotto. Mitten drin zu sein ist wohl noch unwahrscheinlicher. Auch ist die Frage, ob es in Deutschland inzwischen mehr davon gibt als früher, oder ob wir inzwischen nur intensiver filmen und beobachten, zumindest umstritten. Mit häufigeren und schwereren Gewittern und damit verbunden mit deren Fallböen werden wir jedoch zukünftig verstärkt rechnen müssen.

Beim Outdoor Shop Camp4 Berlin und bei der Firma Wechsel bedanken wir uns herzlich für eine schnelle, unkomplizierte und für uns sehr angenehme Regulierung des Schadens an unserem Zelt.

Thomas Sävert (www.tornadoliste.de) danken wir für seine fachliche Einschätzung des Phänomens und für seine – für die Auseinandersetzung mit Naturgewalten hervorragenden – Internetseiten.

Weiterführend: www.naturgefahren.de und www.tornadoliste.de von Thomas Sävert, www.skywarn.de, Seite der Tornadojäger/Stormchaser Deutschlands, (Tornados Klassifizierung Fujita-Scala unter „de.wikipedia.org/wiki/Fujita-Skala“ Windstärken allgemein nach Beaufort-Skala „de.wikipedia.org/wiki/Beaufortskala“, ab 117 km/h ist Stärke 12 = Orkan, Ende der Skala, da fängt Tornado-Klassifizierung mit F1 an (F0 kam später, da es auch wenige gibt, die langsam wehen.)


2 Responses to Zelten in einer Tornadoschneise

  1. Micha Micha says:

    Puh, zum Glück habt ihr das gut überstanden. So ein Erlebnis wird wenigen Menschen zuteil. Danke für den Bericht!

  2. Hans Scholze Hans says:

    sehr beeindruckende Geschichte und der Beleg dafür das Tornados Tornados sind und keine „Windhosen“.

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