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Reisebericht: Mit dem Fahrrad quer durch Südchina Teil II

Von Karsthügeln und Klebreisfladen – Mit dem Fahrrad quer durch Südchina

Teil 2 von 2: Von Guangxi weiter über Hunan, Guangdong und Jiangxi nach Fujian ans Meer

CAMP4: Reisebericht: Mit dem Fahrrad quer durch Südchina Teil II

Nach zehn Tagen Fahrradpause und regelmäßig gutem Essen zieht es uns wieder raus von unserer kleinen Oase auf die Straße. Wir bringen unsere Räder nochmal auf Vordermann und verabschieden uns von unseren temporären Gast- & Arbeitgebern.

Es ist inzwischen Mitte Dezember und sobald man sich nicht mehr in der Sonne aufhält, müssen wir zusehen, dass wir uns entweder bewegen oder Zuflucht im warmen Schlafsack suchen. Uns hat seit Beginn unserer Zeit in Südchina vor über vier Jahren die Schmerzlosigkeit der Einheimischen fasziniert und wie stoisch und fast schon gleichgültig mit Unannehmlichkeiten wie Kälte umgegangen wird. Hier wird es zwar nicht wirklich kalt aber Heizungen gibt es eben auch nicht und wenn es zwei Monate lang nicht wärmer als 10°C im Schnitt wird, kühlen sich die Gebäude genauso ab. Also helfen eben nur warme Kleidung, tragbare Elektroheizer und genug Bewegung.

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So wie wir noch nach mehreren Jahren in Südchina über die Einheimischen staunen, scheinen wir aber auch die Ortsansässigen regelmäßig zu verblüffen. Nicht nur, weil sich so gut wie nie europäisch aussehende Menschen in solch abgelegene Dörfer mit Namen wie etwa ‚Kuhhorn‘ verirren, nein, sie kommen auch noch auf bepackten Drahteseln daher. Ein Motorradfahrer, der uns mit großen Augen beim Vorbeifahren anguckt hält schließlich an und fragt uns, was wir denn so verkaufen. Dass das unser Reisegepäck ist hätte er nicht gedacht. Nach kurzer Klarstellung fährt er irritiert weiter. Aus seinen Motorradtaschen schauen Hühner raus.

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In den kleinen Restaurants und Ständen am Straßenrand sorgt unsere Ankunft oft für aufgeregte Gemüter. Weiße wie uns kennt man hier oft nur aus dem Fernsehen und von irgendwelchen vorurteilsbeladenen Geschichten. Und dass wir gerade bei ihnen halten und dann auch noch auf Chinesisch bestellen, lässt so manches Restaurantpersonal samt Gästen ungläubig dreinblicken, ja sogar den Koch aus der Küche hervorkommen. Beim Essen werden wir durchgehend angeschaut (‚oh schau, sie können mit Stäbchen essen!‘) und nicht selten ungefragt fotografiert und gefilmt.

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Vor dieser teils verständlichen aber auch oftmals ziemlich aufdringlichen Neugierde macht auch leider die örtliche Polizei nicht halt. In einem Hotel klopfen Sie uns aus den Betten. Durch die obligatorische Passregistrierung des Hotels haben sie erfahren, dass wir hier übernachten und wollen unsere Pässe nochmal sehen. Wenn wir Probleme haben, sollen wir uns ruhig an sie wenden, wird uns freundlich vermittelt während die Kamera am Revers eines der vier Uniformierten aufnimmt, wie ich in Unterhose im Türrahmen stehe. Eigentlich lagen wir schon recht „problemlos“ im Bett.

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Die Nächte werden immer kälter, beim Campen friert inzwischen sämtliches Kondenswasser an den Zeltwänden. Um einigermaßen klarzukommen kochen wir uns warmen Bananenmilchreis mit Rosinen zum Frühstück, der uns etwas auf die Beine hilft. Wir müssen uns eingestehen, dass wir mit Frost so gar nicht gerechnet haben. Tagsüber suchen wir uns windgeschützte Sonnenfallen und auf einmal freuen wir uns über Auffahrten, bei denen die Durchblutung angeregt wird und auch manchmal sogar bis in die Füße reicht. Bergab pfeift der eiskalte Wind in alle Ritzen als wir in die Provinz Hunan rollen. Laut unseren Karten ist dies der beste Weg weiter gen Osten doch schon kurz drauf erfahren wir, dass die ausgesuchte Strecke seit einiger Zeit von einem Stausee überflutet ist. Da waren die Staudammbauer wieder einmal schneller als die Kartographen.

Also wieder raus aus der Provinz, Richtungswechsel nach Süden – aber Glück im Unglück: es wird spürbar wärmer und die Strecke erweist sich als ein weiteres Highlight der Tour. Sie führt uns durch eine enge Schlucht, durch die uns ein enorm kräftiger Rückenwind schiebt. Unterwegs machen wir Halt am komplett erhaltenen aber verlassenen Lehm- und Backsteindorf Baojing, das inzwischen sogar für Besucher geöffnet wurde. Stundenlang streunen wir durch die Zimmer und Hinterhöfe, wo man das alte Leben noch förmlich spüren und dessen Überreste in Form von längst erloschenen Feuerstellen und alten Werkzeugen auch noch erkennen kann.

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Weihnachten naht und wir brauchen „Geschenke“! Ein neuer Mantel fürs Hinterrad sowie eine Felge fürs Vorderrad wären nicht schlecht aber leichter gewünscht als besorgt. Fahrradläden gibt es viele aber um die passenden Ersatzteile zu finden müssen wir Umwege fahren, Kleinstädte durchforsten –  es dauert einige Tage und Nerven bis wir fündig werden. Doch der Aufwand lohnt sich, es rollt sich wieder besser.

Dann kommt Heilig Abend. Erst knacken wir die 2000 km Marke und dann finden wir auch noch einen dem Feiertag würdigen Zeltplatz an einem schönen Flüsschen. Zu essen gibt es den gleichen wohltuenden Campingmatsch wie schon so oft aber wir haben im letzten größeren Örtchen den ersten internationalen Supermarkt seit Kunming gefunden und unglaublich schmackhaften Scheiblettenkäse besorgt, der dem reichhaltigen Weihnachtsessen die Krone aufsetzt. Auch koreanischer Schnaps wird gereicht. Dieser erinnert aber eher an unseren Brennspiritus als an ein edles Tröpfchen. Trotzdem, es weihnachtet sehr!

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Weihnachten feiert man in China so gut wie gar nicht, in einigen Städten sind Läden mit albernen Weihnachtsmännern geschmückt. Auch der Jahreswechsel von Dezember zu Januar hat hier wenig Bedeutung, da sich das chinesische Neujahr nach dem Mondkalender richtet und den Beginn des Frühlings im Januar oder Februar markiert.

Doch dieses Jahr fällt der 31. Dezember auf einen Sonntag. Der letzte Tag der Woche, sowie des Monats und des Jahres 2017. Wenn das kein gutes Omen für die Ehe ist – es wird geheiratet was das Zeug hält. Überall rennen plötzlich Frauen in Brautkleidern rum, kommen uns hupende und kitschig geschmückte Wagenkolonnen entgegen. Geböllert wird natürlich auch aber eben wegen der Hochzeiten, nicht wegen Silvester. Gut, dass wir schon verheiratet sind und uns das alles herzlich egal sein kann. Wir suchen uns ein Hotel und schlafen früh im alten Jahr ein und lange im Neuen aus.

Wir planen unsere Weiterfahrt wie gewohnt mit unseren chinesischen Straßenkarten-Apps. Trotz viel Routine verschätzen wir uns mal wieder gewaltig. Wir suchen uns eine schön verlaufende Straße aus, die uns durch einen der letzten Fleckchen Karsthügellandschaft unserer Reise führen soll. Die Straße ist allerdings so steil, dass sie mit Gepäck am Fahrrad kaum zu meistern ist. Die Serpentinen folgen in immer kürzeren Abständen zueinander, sodass uns schwindelig werden würde, wären wir nicht so sehr mit dem Schieben unserer mit Essen und Wasser beladenen Räder beschäftigt. Oben angekommen fallen wir nur noch um, die tolle Landschaft um uns herum können wir nur noch bedingt genießen. Wir kochen uns was zu essen und bleiben an Ort und Stelle über Nacht.

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Die Provinz Guangdong im Südosten Chinas ist eine vergleichsweise sehr moderne, geschäftige und stark bevölkerte Region. Auch wenn wir stets versuchen, auf kleinen Wegen unsere Tagesetappen zu bestreiten merkt man deutlich, dass wir uns keine 150 km nördlich der Millionenmetropole Kanton am Delta des Perlflusses befinden. Unzählbare LKW mit Containern, die uns auf den Straßen das Radeln schwer machen, viel Industrie jeglicher Art, schlechte Luft und wenig Zeltmöglichkeiten begleiten uns mehrere Tage, bevor wir in die etwas langsamere und ruhigere Provinz Jiangxi abbiegen können.

Hier schenkt man uns immer und immer wieder saftige Orangen, die tonnenweise in den umliegenden Plantagen angebaut werden. Doch dann zwingt uns ein Wetterumschwung mit Kälte und Dauerregen zum vorläufigen Stopp. Da wir unsere Fahrt genießen wollen und immer noch genug Zeit haben, nisten wir uns in einem Hotelzimmer der weitestgehend unspektakulären Kleinstadt Xunwu ein und sitzen das schlechte Wetter aus. Nach ein paar Tagen kennen wir jeden Laden, jedes Restaurant. Immerhin gibt es einen Gebäudekomplex, der heute ein Museum ist: hier hat Mao Zedong im Jahre 1930, als er noch relativ gute Ideen für sein Land zu haben schien, eine Studie über örtliche Lebensweisen durchgeführt und Verbesserungsvorschläge für die bäuerliche Bevölkerung gemacht. Wer weiß, ohne ihn hätten wir hier und heute vielleicht nicht so leckere Orangen essen können.

Nach langen 5 Tagen Zwangspause kann es endlich ohne Regen weitergehen! Die Temperatur liegt immer noch knapp über dem Gefrierpunkt und auf die Straßen wurde sehr viel Schlamm gespült. Wir kommen kurz drauf in die letzte Provinz unserer Reise: Fujian. Ein Reisebus fährt an uns vorbei, auf dem „Xiamen“, unser Zielort zu lesen ist. Auf einmal ist das Ziel nach gut 11 Wochen auf der Straße kein abstrakter Punkt mehr auf irgendeiner Karte sondern eine in greifbare Nähe gerückte Destination.

Die ethnische Minderheit der Hakka hat dieser Küstenprovinz ein herrliches Erbe hinterlassen: aus Lehm errichtete riesige Rundbauten (genannt „Tulou“, Erdgebäude), in denen auch heute noch Menschen wohnen. Sie schützten die Bewohner vor Angriffen und in den Innenhöfen konnte sich beruhigt das Leben von bis zu 1000 Menschen abspielen.

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Aber auch hier wird es wieder bevölkerter und touristischer, zur chinesischen Ostküste ist es nicht mehr weit. Unerwarteterweise stellen sich uns abermals Gebirge quer zur Fahrtrichtung in den Weg. Tagsüber ist es trocken, die Luft ist voller Rauch von verbrannten Ernteabfällen, was das Atmen ungemein erschwert.

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Doch auch das letzte Gebirge gibt sich irgendwann geschlagen und fällt zur Küste hin ab. Die letzten 50 km mit Baustellen, Dreck und Dieselschwaden gehören dann eher in die Kategorie „Radreisen zum abgewöhnen“. Aber der Hafen, an dem die Fähre auf die Insel Xiamen übersetzt, liegt irgendwann vor uns. Wir stopfen die Räder zwischen das Gepäck anderer Reisender und schaukeln erschöpft und etwas ungläubig über die Wellen. Das war’s jetzt also ja?

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Wir irren durch die Gassen der Altstadt von Xiamen, finden ein Hotel und lehnen uns grinsend zurück. Geschafft. Naja, nicht ganz. Einen Tag vor unserer Ankunft ist einer unserer Pässe von den ganzen Registrierungen in den Hotels kaputt gegangen und fällt auseinander. Nach ein paar Tagen auf der Stadtinsel verschenken wir unsere Räder an nette Menschen, packen unseren Kram in Rucksäcke um und fahren zum nächsten deutschen Konsulat, wo uns schnell und unproblematisch ein vorläufiger Ersatzpass ausgestellt wird. Doch damit nicht genug: noch hat der neue Pass kein Visum und dieses kann nur die ausstellende Behörde vom alten kaputten in den neuen Pass übertragen. Diese sitzt in Kunming, wo wir vor über 3 Monaten losgeradelt sind. Wir kaufen uns ein paar Bus- und Zugtickets und zwei Tage später sind wir wieder „zurück auf Start“.

Noch ein paar Daten und Fakten

  • Gesamtentfernung: ca. 3000 km
  • Fahrzeit: ziemlich genau drei Monate, Oktober bis Januar, inklusive aller Pausentage (ein guter Monat)
  • Platten: nur vier, davon drei in den ersten drei Wochen
  • mindestens einmal am Tag unsere Leibspeise, gebratenen Eierreis gegessen

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