Reiseberichte » Europa  » Tschechien

Schnee bestellt, Schnee bekommen!

sliderAn Weihnachten sitze ich gerne drinnen. Weiße Weihnachten sind mir egal. Aber ich mag Schnee zum Skilaufen und zum Zelten und überhaupt. Das Erzgebirge ist prima geeignet für flache Skitouren, nur gibt es da diese Unsicherheit. Den Urlaub muss ich immer schon lange vorher beantragen, also bleibt die bange Frage: Wird es was mit dem Schnee?

Die Natur lässt mich diesmal warten. Kommt der Schnee oder kommt er nicht? Erst fünf Tage vor dem Urlaub wird klar: Er kommt. Nach dem ganzen Hin und Her schaue ich gar nicht auf meine Packliste. Ich suche schnell alles Material zusammen und verteile es über die Pulka und den Tagesrucksack.

Es gibt etwas zu klären

Seit bestimmt zwanzig Jahren nehme ich mir jedes Jahr einmal ein paar Tage frei und gehe alleine raus. Mal mit Skiern, mal zu Fuß oder mit dem Rad. Und dann lasse ich meine Gedanken frei. Leine los und ab. Wie geht es mir? Wie geht es meiner Familie? Wie war das letzte Jahr, wie soll das neue werden? Und dazu die vielen kleinen Fragen: Was für Touren mache ich dieses Jahr? Und welche Ausrüstung brauche ich dazu noch?

Das Lästigste bei solchen Touren ist die Anreise. Ich schleppe einen kleinen Rucksack mit den schwersten Sachen, eine halbvolle Pulka und dazu kommen noch die unhandlichen Skier. Mein selbstgebautes Wägelchen, eine kleine Holzplatte mit Rädern, muss ich vor der nächsten Tour noch verbessern.

Beim Umstieg in Dresden höre ich ein Knacken und dann ein Schaben hinter mir: das eine Rädchen wollte keinen Rollsplitt mehr schlucken und ist gebrochen. Schon huscht der Gedanke vorbei, dass ich nicht alleine hätte verreisen müssen. Die Pulka ist aber leicht genug, um sie eine kurze Strecke zu tragen.

Endstation ist Olbernhau-Grünthal. Ich steige aus und suche vergebens ein Schildchen nach Brandov. Eine Frau hilft mir. Einmal geradeaus, dann links durch das Tor und schon stehe ich in Tschechien. Vom Bahnhof bis zur Grenze sind das geschätzt 150 Meter. Dass die Beschilderung nicht über die Grenze guckt, kommt hier öfter vor. Von beiden Seiten der Grenze. Auch wenn dies offiziell eine Euroregion ist.

Skihang mal anders herum

Endlich ist es so weit. Ich verlasse die Straße und schnalle mir die Skier an. Es schneit leise. Ich gleite über die Felder, bald geführt von einer einsamen Spur. Über den ersten kleinen Graben hinüber reicht ein großer Schritt. Steiler wird’s erst am Skihang, den ich fast geradeaus hochsteige.

Bei den letzten Häusern bellen ein paar Hunde, ich sehe, wie sie auf der Straße umherspringen. Ich überlege mir kurz, ob ich nicht lieber eingeladen werden würde auf einen warmen Tee in der guten Stube. Ein Moment später sind die Hunde weg, die Straße ist leer und ich folge dem Weg hoch, in den Wald hinein.

Die Karte nervt mich. Manchmal hilft sie, manchmal verwirrt sie eher. Es wird dunkel. Flache Stellen für das Zelt gibt es praktisch nur auf dem Weg, aber ich möchte nicht von einem vorbeihuschenden Skidoo geplättet werden. Falls es die hier gibt.

Freundlicherweise ragt ein gefällter Baum über den Weg, dahinter ist eine Ecke frei. Wenn nur bloß genug Schnee wäre für meine Heringe (ich hab extra den doppelten Satz dabei, normal und für Schnee). Irgendwie gelingt es mir, das Zelt zwischen den Bäumen aufzuspannen. Drei Leinen, drei Heringe, seitlich keine Abspannung, aber es ist heute windstill.

Ab ins Zelt, erst noch ein wenig Ausruhen im neuen Schlafsack und dann wird gekocht. Schnee-schmelzen für Tee, eine Trekkingmahlzeit und als Nachtisch heiße Schocolade mit Cantuccini. Bettzeit! Die Türen lasse ich offen stehen, sodass ich rausgucken kann.

Mondlicht. Meine Füße liegen doch zu hoch. Draußen ist es merkwürdig hell. Der Schnee leuchtet im Mondlicht. Ich lasse die Tür vom Zelt weit offenstehen. Für die paar Minusgrade hier bietet mein neuer Winterschlafsack genug Reserve.

Ein großer Schritt reicht leider nicht

Morgens lade ich zuerst die Pulka voll. Das Frühstück hole ich unterwegs nach. Ich entscheide mich, die Abkürzung durch das Tal zu nehmen, statt des großen Bogens über den Berg. Und ich bereue die Entscheidung sehr bald. Oben wäre es kälter. Hier queren lauter kleine Wasserläufe meinen Weg. Da reicht doch ein großer Schritt, nicht wahr?

Nein, der reicht meistens nicht. Hinterher sehe ich ein, dass ich wirklich jedes Mal Skier und Pulka hätte abschnallen sollen und separat rübertragen. Schnee plus Wasser gibt Eis. Ich habe jedes Mal dicke Stollen an den Skiern und an der Pulka. So gut wie ich’s schaffe, kratze ich das Eis ab und gehe weiter, aber flott fühlt sich das wahrlich nicht an. Oder muss ich Stadtmensch den Frischluftschock noch verarbeiten? Ich stelle mich stur und mache weiter. Die Kamera packe ich weg, wenn ich schlecht drauf bin, mag ich keine Bilder machen.

In Nová Ves v Horách setze ich mich hin und die Kirchenglocken auf der anderen Talseite melden die Mittagszeit an. Meine letzte fertige Stulle, dazu Tee und ein paar Kekse als Nachtisch. Die großen Schilder mit der Touristeninformation sind zum Teil sogar dreisprachig. Tschechisch, Englisch, Deutsch. In der Reihenfolge, knapp hundert Meter von der deutschen Grenze entfernt. Meine Fersen haben ganz leise gejammert, ich nehme mir die Zeit und sicherheitshalber reichlich Tape.

Abenteuer mit diffusem Licht

Ist es, weil das Salz auf der Straße meine Skier enteist hat, oder hat mir die Mittagspause geholfen? Jetzt wird alles leichter. Ich habe die Hochebene am Kamm erreicht. Prompt sehe ich tausend schöne Grautöne um mich rum. Jetzt darf die Kamera auch wieder raus. Das Dorf, die Windmühlen, die Bäume, die Schneeflocken, alles hübsch. Hier liegt auch wieder eine relativ frische Spur und wälze ich mit der Pulka nicht mehr so viel Schnee platt.

Ich bin auf der Ski-Magistrale, aber die bietet in Tschechien mehr Abwechslung als die Kammloipe auf deutscher Seite, etwas weiter nach Westen. Mal ist hier gespurt, oft nicht, oder es gibt alte, verwehte Spuren. Abenteuer! Allerdings manchmal auch frustrierend, wenn eine gute Spur aufhört und das Schleppen wieder beginnt.

Ich verlasse den Wald und quere einen großen weißen Hang. Es schneit wieder. Das Licht ist so diffus, dass ich die Spur direkt vor meinen Skiern kaum sehe. Oben auf dem Hügel stehen ein Baum, ein Kreuz und eine Hütte, dunkel gegen das weißgrau davor und dahinter. Während ich die Schneeflocken von meiner Kamera wegfege, freue ich mich, dass ich mein eigenes Objektiv dran hab. Ich hatte mir gerade eins geliehen, und das hätte ich im Schneetreiben sicher in der Tasche gelassen.

Tiefer Winter mit kalten Knien

Zwischen den Häusern wieder den üblichen Ärger: Eine Magistrale gibt es hier nur vor und nach der Bebauung, in den Dörfern muss man sich behelfen. Immerhin liegt an der Straßenkante genug Schnee, ohne Rollsplit. Die Skier bleiben an. Links von der Straße werden Gartenzwerge in allen Größen und Unterarten angeboten, rechts gibt’s Vogelhäuschen (original erzgebirgisch oder doch aus Vietnam?) und Kleidung. Man spürt die Nähe zur Grenze.

Zum Abschied aus dem Dorf bellen die Hunde. Zwei ältere Langläufer sprechen mich auf die Pulka an. So etwas hätten sie hier noch nie gesehen. Es geht wieder bergan, der Mond kommt hervor, das Blau des Himmels wird immer dunkler und die Wolken im Westen färben sich rosa-orange. An einer Kreuzung verlasse ich die Magistrale. Der Schnee ist tief genug für die Schneeheringe und für eine bescheidene Fußkuhle in der Abside. Hurra!

Ich bitte das Zelt, noch mal hübsch zu lächeln für das Foto. Dann richte ich es fertig ein und hole den Kocher hervor. Sehr kalt ist es nicht, ich setze mich einfach so in die Türöffnung des Innenzelts und merke erst anderthalb Stunden später, wie sehr meine Knie ausgekühlt sind. Jünger werde auch ich nicht: Nicht mal der dickste Schlafsack, den ich je hatte, lässt die Knie schnell wieder warm werden.

Schnee und Bäume

Fehlplanung: ich habe kein leckeres Frühstück mehr. Vorsorglich stecke ich Müsliriegel in meine Hosentaschen, damit ich unterwegs schnell ‚aufladen‘ kann. Die Karte sagt mir, dass Holzhau erreichbar ist. Irgendwie mache ich mir doch Sorgen, wie gut die Spur sein wird und schon bin ich wieder gehetzt. Schnee mit Bäumen und Bäume mit Schnee und noch mehr Schnee mit Bäumen: der Wald ist hier wunderbar. Das möchte ich gerne auch meinen Jungs zeigen.

Hier ist der Schnee ist deutlich besser als gestern, unten im Tal. Vor mir geht der Weg geradeaus hoch, aber es sieht steiler aus als es ist. Die Schuppen krallen sich fest im Schnee und ich kann die Skier schön parallel halten. Oben ist die Spur wieder verweht. Ein Langläufer kommt mir entgegen, der erste heute. Er nimmt die Spur, die ich mit der Pulka gezogen habe, dankbar an.

Gedanken und Antworten

Auch Georgenthal bietet Asphalt, auf beiden Seiten der Grenze. Ein Passant kramt für mich seine Uhr hervor. Ich bin erstaunt, dass es erst zwölf Uhr ist. Dann kann ich es ja jetzt ruhig angehen lassen. Der Mann fragt, ob das mein Training ist. Ein klares Jein. Meine Kollegen schwärmen mir schon seit Jahren vor vom Winter im Fjell vor.

In meinem Dienstplan steht eine lange Woche frei im März, genau dafür. Die Ausrüstung hab ich beisammen, die Erfahrung würde auch reichen. Aber es ist weit weg und mir irgendwie eine Nummer zu groß. Und wenn ich eine Woche wegfahre, bin ich zu Hause mindestens zwei Wochen nicht wirklich ansprechbar. Ist das nun ein Aha-Erlebnis? Mir fällt die Antwort auf meine Zweifel ein. Schweden läuft mir nicht weg. Meine Familie ist jetzt wichtiger. Ich fahre nicht.

Nach dem Dorf folgt wieder eine Loipe. Platt wie eine Autobahn, in schönen großen Kurven immer an der Grenze entlang. Von der Spur hab ich nicht viel, dafür ist die Pulka zu flach, aber daneben ist eine ewig breite Rillenfläche. Fein. Noch drei Schritte auf kleinen Pfaden durch den Wald und ich stehe auf einem riesengroßen Parkplatz. Die Zivilisation hat mich wieder.

An der Imbissbude leiste ich mir also eine Rostbratwurst und dann rutsche ich langsam über einen ewig großen verschneiten Hang talwärts. Unterwegs kommt noch eine kurze Wandereinlage auf der Straße, aber ein kleines Mädchen hat mich entdeckt. Sie hat ihre Großeltern auch schon gelöchert, was ich da mache und was das für ein Schlitten ist.

Bei der Frage, ob es schwer ist, nutze ich die Chance. Sie kriegt die Pulka. Ich selber trage nur noch meine Kamera. Der Gurt rutscht ihr ein bisschen weg, aber sonst geht das prima. Für mich erst recht.

Der Bahnhof hat ein Gleis mit Schnee und eins ohne und ein Wartehäuschen ohne Glas. Das Gebäude wird schon länger nicht genutzt. Der Schaffner erzählt mir, dass der Automat kaputt ist, und dass er keine Fahrkarten verkauft. Dann kaufe ich eben keine. In Dresden verpasse ich den Zug haargenau.

Jetzt habe ich Zeit, die Pulka umzubauen. Wenn ich schon keine Rädchen hab, will ich sie wenigstens als Rucksack tragen. Der Zeltteppich dient mir als Rückenpolster und ich freue mich, dass ich genug Packriemen dabei hab.

In Berlin Südkreuz will sich die Zugtür nicht öffnen lassen. Mit meinen Sachen kann ich leider nicht schnell in den nächsten Wagen rennen. Dann fahre ich halt über den Hauptbahnhof. Nur gut, dass die Tür mich da raus lässt.

Von der S-Bahn laufe ich nach Hause mit der Pulka auf dem Rücken. Da spüre ich das große Abenteuer gleich mit. Während ich mich erhole, zeigt sich in den Tagen danach, was für Glück ich hatte. Kaum dass ich zurück war, war der Schnee schon wieder weg.


Mitarbeiter CAMP4

One Response to Schnee bestellt, Schnee bekommen!

  1. Maik says:

    Ach Ludger,
    der Winter; da werde ich direkt ein wenig wehmütig.
    Grade weil er schon wieder an die Türe klopft und ich dem Ruf wohl wieder nicht folgen werde…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert