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Teil zwei: Auf in die Nacht – unterwegs auf dem Kungsleden

Zu schwer, zu kalt, zu dunkel - unterwegs auf dem Kungsleden. Alle Bilder: Engin DeveciAngekommen am Kungsleden im eingefrorenen Abisko sank die Temperatur weiter: Wir stapfen in das Gebäude der Touristation. Hier ist es schön und einladend warm und fühlt sich dennoch an wie die größte Schmach, gemessen an unserem ursprünglichen Vorhaben. Hier kommt der zweite Teil einer ganz besonderen Wintertour:

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Kapitel III

Nicht umsonst sollen wir die gesamte Ausrüstung mit uns mitgeschleppt haben! Nicht umsonst haben wir Kosten und Mühen auf uns genommen sowie die bisherigen Widrigkeiten überwunden um endlich an den Kungsleden zu gelangen. Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir uns als Wunder der Flexibilität bewiesen, sonst wären wir schließlich nicht hier.

Auf gar keinen Fall wollen wir noch eine weitere Nacht komfortabel, teuer und vor allem unverdient in einem Hotelbett nächtigen. Wir könnten ja wenigsten draußen im Zelt schlafen, denke ich, und in der Nähe schützender beheizter Gebäude ausprobieren, ob wir in der eisigen Kälte klar kommen. Christine denkt genauso. Wir sind ein gutes Gespann, ein gutes Team, im Einklang der Gedanken. In aller Kürze treffen wir alle notwendigen Vorbereitungen und stapfen los ins tiefe Schwarz.

Es ist Nachmittag. Es ist kalt, da jenseits der -30°C. Leichtsinn übernimmt unseren Verstand und führt uns in unseren Handlungen. Das wird mir etwas später klar. Denn wir haben ja gar nicht genau besprochen, wie es jetzt weiter gehen soll. Hals über Kopf entfliehen wir dem Schutz der Behausung. Wir sind naive Optimisten, als wir unter dem Holztor hindurch gehen und so endlich auf den historischen Wanderweg gelangen und genau wie Alice im Wunderland durch den Hasenbau in eine andere Welt hinein schlüpfen, die in unserem Fall die rauhe kalte Welt der Wildnis Lapplands ist.

Unterwegs auf einer Bob-Bahn

Der Weg besteht aus einer schmale Rinne im Schnee, die in ihren Ausmaßen einer Bob-Bahn für Karnickel gleicht. Man kann überhaupt nicht gut darin laufen, weder mit Schuhen, noch mit Skiern. Er verdreht und wendet sich in vielen viel zu kleinen Kurven nach links und rechts und auf und ab. Der Birkenwald durch den uns die Bob-Bahn führt wirkt wenig erwachsen und ist als Wald nicht ernst zu nehmen. Groß werden die Bäume hier wohl nicht.

Einige Male kippt unser Lastenschlitten um, Christine hilft dann diesen wieder aufzurichten. Ich weiß, dass zu unserer rechten Seite, den Abhang herunter ein kleiner Bach sein muß, das hatte ich vorher auf der Karte gesehen. Leider ist es viel zu dunkel und man sieht nicht viel von der Landschaft.

Die Daunenjacke, die ich trage und die mir mein Chef mitgegeben hatte war sehr dick. Ich kann weder meine Füße, noch meine Beine, noch könnte ich andere interessante Körperteile sehen, sofern ich sie an die Luft ließe. So ist das also, denke ich mir. Das Herumhantieren an dem Geschirr der Pulka an meiner Hüfte gestaltet sich dadurch als sehr nervig.

Im Vergleich zur Jacke, ist der Schlafsack den mir ebenfalls mein Chef geborgt hatte weniger dick. Das sollte mir jetzt Grund zu denken geben, denn trotz der körperlichen Arbeit, die ich gerade schnaufend verrichte, ist mir selbst in der dicken Daunenjacke nicht sehr warm. An den Füßen friere ich, meine Finger schmerzen vor Kälte und allmählich klebt mir das Eis immer wieder kurzzeitig die Nasenflügel und Augenlider zu. Muss ich mir Sorgen machen?

Ich wische diesen und ähnliche Gedanken beiseite. Am Besten suchen wir uns einfach bei der nächsten Gelegenheit einen schönen Platz aus und schlagen das Lager auf, kochen heißen Tee und genießen die Geborgenheit des Zeltes. Es dauert also nicht sehr lange bis ich stehenbleibe und rufe: „Christine, wollen wir hier das Zelt aufbauen“. Diese versteht – wie schon die ganze Zeit – natürlich nicht auf Anhieb was ich sage, weil ihr ganzer Kopf und damit auch ihre Ohren so dick in ihre Fellmütze und die Kapuze ihrer Jacke eingepackt sind, dass das Hörvermögen dadurch stark beschränkt ist.

Ihr Aussehen erinnert mich an diesen süßen Teddybären aus der ersten Star-Wars-Verfilmung. Ich wiederhole mich also wieder einmal, nur lauter und überdeutlich. „WAS HÄLTST DU DAVON, WENN WIR HIER DAS ZELT HINSTELLEN?“. Die Reaktion die anschließend folgt ist völlig anders, als ich je erwartet hätte. Sie stockt, schaut mich völlig per plex an und sagt. „Was, jetzt schon? Ich dachte wir laufen noch ein bisschen, mir ist noch gar nicht warm“.

Wagemut oder Leichtsinn?

Hier wird mir klar, dass wir offenbar ohne Abmachung und Absprache für den heutigen Tag einfach in den Wald losmarschiert waren. Ich wollte eigentlich sowieso nur bei Tageslicht laufen, auf gar keinen Fall in der Dunkelheit und fühlte mich dabei nur mäßig wohl. Jeder Schritt, der uns immer weiter von der Tourisstation entfernte, nährte in mir bisher so ein mulmiges Gefühl. Christine dagegen scheint diesbezüglich nicht mal den Ansatz eines mulmigen Gefühls zu haben. Ich bin beeindruckt von ihrem Wagemut oder ihrer Leichtsinnigkeit. Sie schien dem gesamten Unternehmen vollstes Vertrauen entgegen zu bringen. Also marschieren wir weiter.

Immer tiefer und weiter rutschen wir durch die Rinne in den Birkenbusch hinein. Zu unserer Rechten ist etwas, das Nordlicht sein könnte. Für mich sieht es aus wie eine große weiß angeleuchtete Wolke. Immer wieder beäuge ich sie schnaufend und mit übergroßen Erwartungen, aber das Phänomen verschwindet ganz langsam wieder. Nach längerer Zeit ist Christine noch immer nicht wohlig warm. Ich fühle mich etwas wärmer, sogar meine Füße sind angehnehm temperiert. Die kleinen Anstiege, die ich nur mit größerer Anstrengung überwinde halten meine Kreislauf in Trab.

Der Schlitten ist viel zu schwer, denke ich mir immer wieder. Irgendwann entschließt sich Christine mit ihrem Rucksack beladen voraus zu laufen, die nächste Anhöhe hinauf und weg ist sie. Als ich mich den gleichen Anstieg V-schrittweise hoch stemme und dann auch noch die Pulka kippt, steigen Unmut und Ärger in mir auf. Ein wenig Voraussicht und Mitdenken könnte sie doch, wenn ich schon den schweren Schlitten ziehe. Die Tücke dieser Laune entlarvend, reiße ich mich zusammen und bewahre Ruhe. Dann rufe ich um Hilfe. Aber der Star-Wars-Teddybär hört einfach nichts durchs sein Fell. Ich reiße mich nochmal mehr zusammen und rufe nochmal.

Nach einiger Strecke und einiger Zeit, beschließen wir, endlich wieder im Einklang, unser Lager inmitten des Wäldchens aufzuschlagen. Christine befolgt meine Anweisungen, denn sie kennt die Abläufe dieser Prozedur im tiefen Schnee nicht. Mit unseren Skiern plätten und festigen wir den Untergrund für das Zelt und stellen dieses mittig drauf, direkt neben einem großen Haufen gefrorener Elchküddel.

Inneneinrichtung ist Frauensache 😉

Christine verschwindet wie sonst auch im Zelt und übernimmt die Inneneinrichtung. Währenddessen schmelze ich draußen den Schnee für das Abendessen, koche den Tee und befülle die Wärmflaschen. Sicher wäre es schlauer den Schnee im Zelt zu schmelzen um dieses mit aufzuwärmen. Aber ich kann einfach nicht warten bis die Küche im Zelt steht, denn es ist verflucht kalt und alles muss nur noch ganz ganz schnell gehen. Kleine Eiszapfen hängen an meinen Wimpern.

Christine flüchtet sofort in ihren Schlafsack und lässt sich von mir nur noch mit heißem Tee und Essen versorgen. Sie hofft auf die vorher in unsren Träumereien ausgemalte Romantik und Gemütlichkeit. Beides bleibt aus. Auch ich sehne mich nach Wärme und Wohlgefühl und verschwinde in den Tiefen meines Schlafsacks, bekleidet mit der dicken Daunenjacke über mir.

In der Nacht träume ich sehr real von einem Rudel Wölfe, das um unser Zelt schleicht. Als ich erwache ist es immer noch dunkel, meine Nasenspitze ist eisig kalt. Ich muss pinkeln. Bevor mich der Harndrang den Rest der Nacht quält, quäle ich mich lieber jetzt und so krieche ich aus dem Zelt.

Draußen stehend in Verrichtung der Notdurft überkommt mich schlagartig die Erinnerung meines Traumes. Augenblicklich bin ich hellhörig. Bis auf den Wind ist nichts zu hören. Ich lausche angestrengt und tiefer in die Büsche, meine Ohren sind auf 360°-Überwachung eingestellt und mein Geist ist hellwach. Nichts. Erleichtert – in zweifacher Weise – krieche ich zurück ins Zelt und in meinen Schlafsack.

In der Hoffnung, dass auch Christine gut schläft schaue durch die kleine Öffnung ihres Schlafsacks auf ihr noch immer in Fellmütze eingerahmtes tief schlafendes Gesicht. Die Nasenspitze ist noch dran, scheinbar läuft alles nach Plan.

Kapitel IV: Auf in den Tag

Ich erwache und schiebe meinen Gesichtsschutz beiseite. Es ist es schon recht hell. Den Wecker hatte ich gar nicht versucht zu stellen. Mit einem einzigen Prozent Akku-Restladung wollte ich gewissenhaft haushalten. Langsam, aber zielstrebig pelle ich mich aus dem Schlafsack. Zwei Dinge stehen für mich in diesem Moment fest. Erstens: sofern Christine noch weitermachen möchte, wollte ich die kommende Nacht in einer Schutzhütte verbringen. Es war deutlich kälter als wir erwartet hatten. Die Schuhe, die ich aus den Tiefen des Schlafsacks zog, hatten noch immer Schnee im Profil.

Zweitens: ich wollte auf gar keinen Fall wieder im Dunkeln durch das Fjell stolpern. Da ich nicht einschätzen konnte wie schnell wir die Strecke bis zur Hütte in Abiskojaure bewältigen konnten, war also in Anbetracht der jahreszeitlich bedingten kurzen Tagesperiode ein gewisses Maß an Eile geboten.

Vor dem Zelt wurde ich von herrlichstem Wetter begrüßt. Meine Stimmung stieg, die Körperwärme dagegen fiel direkt ab. Umgehend begann ich also mit den notwendigen Prozeduren wie Christine wecken, Schnee schmelzen, Frühstück vorbereiten, Ausrüstung einpacken, und so weiter und so fort. Christine reagiert nur mit Murren, regte sich sonst aber nicht. Offenbar ist Ihr das Bärenkostüm zu Kopf gestiegen. Sie scheint in den Winterschlaf gefallen zu sein und will wohl auf den Frühling warten. Ich warte auch noch ein wenig, dann helfe ich nach.

Wir frühstücken zügig und versuchen anschließend alles einzupacken und zu verstauen. Trotz der dicken Extra-Socken die ich übergestreift hatte, kühlen meine Füße aus. Dagegen führe ich Gymnastiken ins Feld. Leider zeigen diese aber keine große Wirkung. In solcher Witterung ist alles ganz zäh und steif. Unsere Isomatten lassen sich kaum verbiegen und nur mit viel Kraft einrollen.

Alles ist größer verpackt als es vorher der Fall war. Als wir endlich fertig sind bestaune ich das Endergebnis. Mit Bedauern sehe ich, dass die Pulka unglaublich schlecht beladen ist. Egal! denke ich, einfach nur los solange es hell ist. Was das Packen der Pulka anbelangt: hinsichtlich dieses Themas werde ich zukünftig auch keine Kompromisse mehr eingehen.

Eingetaucht in goldene Gefilde

Wir stolpern ein gutes Stück durch die spiegelglatte Rinne im Wald. Da der Lastenschlitten viel zu breit und ausladend bepackt ist, kommt zu der bisherigen Anstrengung des Ziehens noch hinzu, dass ich nun auch noch die oberen Ränder der Karnickel-Bob-Bahn mit dem Schlitten abkratze.

Glücklicherweise entlässt uns schon bald der Weg in ein deutlich besseres Terrain. Wir verlassen den Wald und endlich fühlt sich das Laufen mit Skiern nicht mehr an wie unentwegtes permanentes Stolpern. Das Wetter ist traumhaft. Das Licht ist golden und schwummerig. Zuversicht überkommt uns. Wir halten uns beschwingt in Richtung Süden und gleiten auf unseren Skiern gen Sonnenlicht.

Das Spiel der Stimmung verändert sich schleichend und schon bald verheißt der Horizont Abenddämmerung. Trotz der Schönheit der Kulisse  wächst in mir ein ungutes Gefühl. Die Hütte ist noch lange nicht erreicht. Eine Weile später stelle ich fest, dass sich die Szenerie jedoch weiter erstmal kaum verändert hatte. Das schwummerige Licht der Abenddämmerung ist mit dem gesamten Rest der Landschaft und meinen Zehen einfach eingefroren.

Es geht weiter zwischen Bergen, die in ihrer Form riesigen Maulwurshügeln gleichen und an denen Wolken hängen. Wir fühlen uns dabei ganz klein. Alles wirkt wie ein Spielplatz für Riesen oder Trolle. Schließlich erreichen wir einen großen See. Auf der gegenüberliegenden Seite muss die Schutzhütte liegen. Uns trennen nur noch drei Kilometer Luftlinie von unserem nächsten Schlafplatz.

Chrstine und ich sind schon erschöpft, hungrig und recht durstig. Dunkelheit gewinnt an Überhand und erfüllt uns mit dem ungestillten Bedürfnis nach dem Schutz und der Geborgenheit einer sicheren Behausung. Es ist finster als wir das Ufer der anderen Seite des Sees betreten. Die ersten Hüttentüren an denen ich rüttele sind verschlossen. Ich fühlte mich wie Sysiphos mit seinem Stein – bitte nicht – bis ich die richtige Tür finde. Jetzt fühlen wir uns wie Gewinner. Erleichterung macht sich breit.

Wie alle begann und wie Christine und Engin überhaupt auf die (naive) Idee kamen, den Kungsleden im Winter zu gehen, liest du hier: www.camp4.de/blog

 


3 Responses to Teil zwei: Auf in die Nacht – unterwegs auf dem Kungsleden

  1. Malte says:

    Das ist ja eine ganz schön krasse Tour für den Anfang gewesen! Kann einen danach noch etwas schrecken? Ich finde es auch mutig, gleichzeitig aber auch etwas gewagt. Vielleicht wäre es als Neuling einfacher, in kleinen Schritten mit Wintertouren anzufangen. Aber vielleicht ist es auch einfach cool, sich in das Abendteuer zu stürzen. Auf meiner ersten Tour gleich an der -40° Celsius marken zu kratzen, hätte mir aber bestimmt den Spaß für länger verdorben. Insofern großen Respekt für euer Durchhalten!

  2. Hilde Holz says:

    Seid ihr da eigentlich lebend rausgekommen oder wie ging es weiter?

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