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Scherie’s große Reise

Gestern war Scherie noch da...

Scherie ist eine Schere. Und Scherie hat ganz schön viel erlebt für eine Schere. An einem Vormittag traf ich sie zufällig in der Küche. Was sie dort suchte, wusste sie selber nicht, aber sie erzählte mir ihre Geschichte:

Die kleine Schere Scherie wohnte bei Matze auf dem Schreibtisch. Sie fühlte sich dort sehr wohl und freute sich immer riesig (fast wie eine große Schere) wenn Matze mit ihr etwas zerschnitt. Am liebsten zerschneidet sie alte Zöpfe. Das ist so magisch. Warum Matze das ständig tut, weiß Scherie aber nicht genau.

Manchmal wanderte Scherie auch ins Büro nebenan. Zu Chefin Anke auf den Schreibtisch, auch hier fühlte sie sich sehr wohl. Von einer Frauenhand benutzt zu werden war doch etwas anderes. Und bei Anke wusste sie auch genau, dass Matze sie irgendwann wieder finden würde.

Ein bisschen unheimlich war es immer wenn Scherie bei Andreas landete, da waren überhaupt nie andere Scheren und oft fand Matze sie dann nicht wieder, weil er ja bei Anke suchte und Andreas brauchte eigentlich auch keine Scheren. Scherie konnte sich das nicht erklären.

Das Unglück

An einem schönen Vormittag passierte es dann: Scherie lag grad gemütlich in der Sonne auf Matzes Schreibtisch. Es war kurz vor zehn. Kurz vor Ladeneröffnung, die Verkäufer und Studenten trudelten gerade alle ein – das war immer eine gefährliche Zeit für Scherie – als sich jemand näherte. Der Schatten wurde immer kleiner, die Hand immer größer und bevor Scherie realisieren konnte wie ihr geschieht, grabschte die Hand sie und trug Scherie davon.

Als sie wieder zu sich kam, waren da lauter fremde Gesichter und neben ihr eine Glasvitrine, wo lauter andere Scheren drin lagen. Aber die hatten riesige Klingen, manchmal nur eine große Schneide und komische Griffe. Scherie fürchtete sich ganz schrecklich. Sie lag in so einer Kiste, die immer auf und zu ging und keiner schnitt mit ihr. Nur selten, ganz brutal musste sie so ein festes Plastikbändchen durchschneiden, danach taten ihr immer stundenlang die Scheren weh. Einmal hörte Scherie Matzes Stimme, aber sie lag ja in der Schiebekiste, so konnte er sie nicht sehen.

Langeweile

Als Scherie es schon fast aufgegeben hatte, jemals aus der Kiste und von den bösen großen Scheren weg zu kommen, ergriff sie eine kleine zarte Frauenhand. Hach, war das schön, fast liebevoll wurde sie eine Treppe hoch getragen, um dann neben einem Computer zu landen. Da lag sie und langweilte sich zu Tode. Der Blick nach unten war ihr zu gruselig und so schaute Scherie auf riesige bunte Taschen. Manchmal sah sie Matze von oben, wie er unten an der Kasse stand. Einmal suchte er sogar eine Schere, aber hier oben konnte er seine Scherie natürlich nicht sehen.

Die Rettung?

Und dann endlich kam wieder jemand, diesmal war es eine sehr starke, aber kleine Hand. Sie ergriff Scherie und trug sie Richtung Matzes Büro. Jaja, diesmal würde sie endlich nach Hause kommen. Aber oh nein, was war das, sie gingen vorbei und die Treppe runter, hier war Scherie noch nie – es wurde immer dunkler und gruseliger, noch eine Treppe. Und oh Gott, was war das, da hingen so Drahtgestelle von der Decke. Die waren monströs, Scherie hatte solche Angst, dass sie diese auch zerschneiden muss. Die Hand trug sie weiter nach hinten, einen langen Gang entlang, wenigstens war es hier wieder hell. Und schwupps, da landete sie auf einem Schreibtisch und fand sich zwischen lauter Tackern wieder.

Wo war sie hier nur gelandet? Aber eigentlich waren die Tacker ganz nett...

Wo war sie hier nur gelandet? Aber eigentlich waren die Tacker ganz nett…

Wo war sie hier nur? Da waren noch zwei Männer, oder waren es drei (?) mit im Büro. Einer stand nur an der Wand, sprach nicht und war nackt. Er trug einen Hut. Ständig klingelte das Telefon und es kamen Leute herein. Hier konnte Scherie zwar viel erleben, aber zum Schneiden gab es nichts. An manchen Vormittagen saß eine junge Frau an dem Tisch. Sie tippte ganz viel und las und schwetzte, aber eine Schere brauchte sie nicht. Sie war sehr nett und steckte Scherie zu ihren Kumpels, den Stiften, in eine Tasse.

Der Nackte an der Wand machte Scherie zunächst ein bisschen Angst, aber er war einfach nur sehr schüchtern. Er hieß Kurt. Mit der Zeit wurden Scherie und Kurt richtige Freunde. Sie lachten viel zusammen, vor allem, wenn keiner im Büro war, machten sie sich über Schreibtische und Papier her – sie brachten alles durcheinander und kringelten sich innerlich vor Lachen, wenn einer etwas suchte.

Trennung

Und als sich Scherie mit ihrem neuen Schicksal fast abgefunden hatte und langsam anfing ihr neues Büro zu mögen, passierte es wieder. Es war schon fast dunkel draußen, alle aus dem Büro waren schon weg, da kam einer. Scherie und Kurt resümierten gerade den Tag und waren traurig, dass nun Wochenende war – die zwei Tage sind sehr langweilig – da ergriff eine Hand die kleine Scherie und trug sie weg. Kurt rief nach ihr und auch Scherie war sehr traurig. Die anderen Stifte zappelten panisch hin und her, auch sie hatten Scherie lieb gewonnen. Es wurde dunkel.

Endlich zu Hause

Als Scherie wieder zu sich kam, schien ihr die Sonne auf die Scheren, sie war schon ganz heiß geworden und als sie dann ihre kleinen Scheren-Äuglein öffnete, erkannte sie ein ihr wohl vertrautes Gesicht. Das war Anke, juhuu, sie war wieder in der Chef-Etage. Und es sollte nicht lange dauern, da kam Matze und freute sich, als er sie entdeckte. Er griff nach Scherie und nahm sich fest vor, in der nächsten Team-Sitzung, dass Problem mit den ständig verschwindenden Scheren noch einmal anzusprechen.


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One Response to Scherie’s große Reise

  1. Mash Geidel says:

    😀 herrlich…die arme Scherie…gibt es sie noch?

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